Ghosting – also sich wortlos aus dem Staub zu machen  –  ist nicht die feine Art, es ist gemein, nicht fair und feig. Und doch war es mein letzter Ausweg. Alle Dinge waren mehrmals gesagt, wir haben uns im Kreis gedreht und uns gegenseitig Worte in den Mund gelegt, die so verletzend waren, dass der Schmerz noch immer nachhallt, obwohl wir uns längst versöhnt hatten, immer und immer wieder. Jahrelang hat es nicht geholfen, zu reden – oder zumindest so zu tun. Denn richtig geredet haben wir nie. Zumindest nicht über uns. Vielleicht über andere. Und in der Zeit hätte man auch einfach gemeinsam schweigen können. Wäre sinnvoller gewesen. Und ich merke gerade, ich schweife ab. Ein Versuch, mein Verhalten rechtzufertigen, das wohl für die meisten so ganz und gar nicht nachzuvollziehen ist: Ich habe mich entschieden, einfach aus dem Leben eines Menschen zu verschwinden, der mir jahrelang am wichtigsten war. Weil ich keinen Ausweg aus dem Schmerz gesehen habe. Dass ich aus seinem Leben verschwunden bin, heißt aber nicht, dass er auch aus meinem verschwunden ist. Ich lese nachwievor alte Nachrichten, schaue alte Fotos, höre alte Lieder, die mich in die ach so perfekte alte Zeit zurückbringen. Das tut weh. Und: Einfach ist es auch nicht. Im Gegenteil.

Jeder kennt das doch: Man verrennt sich in unendlichen Gedankengängen und denkt und denkt und denkt nach, bis man irgendwann alles zerdacht hat – und noch immer keine Antworten hat auf die Fragen, die einen so quälen. Und normalerweise stoppt dieses Gedankenkarussell irgendwann und man kann vergessen, was Vergangenheit ist. Aber bei mir nicht. Das Karussell hat sich immer schneller gedreht, bis ich irgendwann nicht mehr klar sehen konnte und in den seltenen Momenten, in denen ich geschafft habe, es zum Anhalten zu bringen, nicht mehr fest auf meinen Beinen stehen konnte, sondern hilflos losgewankt bin. Immer weiter, aber ohne Ziel. Denn ich wusste nicht und weiß ja bis jetzt nicht, was ich will. Es tut einfach nur weh, weil man ständig hinfällt, wenn man so verschwommen aussteigt, aus dem Gedankenkarussell.

Und weil ich mir selber keine Antworten mehr geben konnte und kann und er sie mir auch nicht geben konnte, hab ich diesen letzten Ausweg nehmen müssen. Es ist, wie sich um 4 Uhr nachts einfach von der Party wegzustehlen, weil man zu müde ist, um sich zu verabschieden. Um zu erklären, warum man geht. Man wünscht sich schnelle Erleichterung, hat aber in dem Moment, in dem man geht, sofort ein schlechtes Gewissen. Was werden die anderen denken, werden sie mich suchen. Und schon wieder sind sie da, die Fragen. Doch darum geht es jetzt nicht. Das kann man natürlich schwer mit einer Freundschaft vergleichen, aus der man heimlich aussteigt, ohne dem anderen die Chance zu geben, einen aufzuhalten. Oder Chance darauf, zu reagieren. Oder vielleicht doch. Nur, dass es um mehr geht. Ich melde mich nicht mehr, ich erzähle nichts mehr, ich streiche geplante Aktivitäten aus meinem Kopf. Ich rede ständig auf mich ein und versuche, damit klar zu kommen, bis hoffentlich irgendwann alles wieder gut ist.