Für fast jeden Menschen mit intellektueller und/oder körperlicher Beeinträchtigung wird früher oder später das Thema Sexualität interessant. Hilfestellungen wie die Sexualtherapie, Sexualassistenz und auch die heiß diskutierte Sexualbegleitung wurden folglich in den letzten Jahrzehnten immer präsenter. Ob es darum geht, Menschen mit Beeinträchtigungen aufzuklären, ihnen zu helfen, sich selbst zu berühren, ihnen die Nähe zu geben, die sie sonst nicht erfahren, oder ihnen zu vermitteln, wie sie die Sexualität mit ihren Partnern ausleben können – all das fällt unter den Begriff Sexualbegleitung. Besser gesagt „fiel“ – denn diese Berufsbezeichnung gibt es in Österreich seit Mai 2017 nicht mehr.

Sexualbegleitung vs. Sexarbeit

Model Katie Price machte vor einiger Zeit mit ihrer Ankündigung, sie wolle ihrem autistischen Sohn Harvey zum 18. Geburtstag eine Prostituierte schenken, Schlagzeilen. Sie meinte, ihr Sohn brauche jemanden, der ihm hilft, seine Sexualität zu erforschen. Der Unterschied zwischen einer Sexualbegleiterin und einer Prostituierten wäre in diesem Fall, dass bei einer traditionellen Sexualbegleitung keinerlei Schleimhaut-Kontakt erlaubt ist, bzw. war. Vielmehr ging es bei der Begleitung um das Erforschen des eigenen Körpers, um sanfte Berührungen und das behutsame Erlernen von Sexualität – kurz gesagt: Um körperliche und geistige Nähe, nicht aber um tatsächlichen Geschlechtsverkehr.

Sexualbegleitung fällt in Österreich seit Mai 2017 unter das Prostitutionsgesetz

„Die LIBIDA-Sexualbegleitung war für all jene gedacht, die sonst keinen körperlichen Zugang zur Sexualität kennen“, erklärt uns die Behinderten- und Sexualpädagogin Anna Wolfesberger von der Fachstelle Senia für Enthinderung der Sexualität. „Seit Mai wird Sexualbegleitung von behördlicher Seite jedoch unter das Prostitutionsgesetz fallend gehandhabt“ sagt Wolfesberger. „Die meisten unserer Sexualbegleiterinnen wollen sich jetzt aber natürlich nicht als ‚traditionelle SexarbeiterInnen‘ registrieren lassen.“

Einer der Gründe sei die damit verbundene, alle sechs Wochen stattfindende Untersuchung, die aber laut Wolfesberger „bei Ausschluss von Geschlechtsverkehr und Schleimhaut-zu-Schleimhaut-Kontakten nicht angemessen ist“. Besonders problematisch sei bei der neuen Gesetzgebung also die Tatsache, dass Sexualbegleitung und Sexarbeit in vielerlei Hinsicht zwei vollkommen verschiedene Paar Schuhe sind. 

„Die (Libida-)Sexualbegleitung war im Unterschied zur traditionellen Sexarbeit mehr im Bereich ‚psychosexuelle‘ Dienstleistung angesiedelt, die in einem geschützten Rahmen angeboten wurde“, erklärt uns Dr. Christoph Kolb von der Fachstelle .hautnah. für Sexualität, Beziehung, Behinderung. „Im Vordergrund stand die Körperwahrnehmung zu stärken, geschlechtliche Identitätsfindung zu ermöglichen, erwachsene Identität zu entwickeln, Grenzen spüren und achten zu lernen, zu berühren und berührt zu werden – achtsamen, gewaltfreien Umgang miteinander zu lernen.“ Die LIBIDA-SexualbegleiterInnen der Libida hatten dazu auch eine entsprechende Ausbildung absolviert. „Die Dienstleistung Libida-Sexualbegleitung gibt es heute nicht mehr. In der Schweiz und in Deutschland LIBIDA wird jedoch etwas Vergleichbares angeboten“ fügt Kolb hinzu.

Im Gespräch mit der (ehemaligen) Sexualbegleiterin Makia:

1. Warum wird in den Medien so wenig über das Thema Sexualität und Beeinträchtigung gesprochen? Warum ist es immer noch ein Tabu-Thema?

„Es wurden bereits mehrere Fernsehberichte über das Thema ausgestrahlt und einige Artikel über Sexualbegleitung veröffentlicht – aber eben nur in Fachzeitschriften (…) Oftmals wurde ich in Institutionen eingeladen, weil z.B. eine Pflegerin eine Ausbildung gemacht hat und dabei von der Sexualbegleitung gehört hat. Oft waren dann aber die Leiter der Institutionen (z.B. Behindertenheime) unsicher. Möglicherweise weil das Wort ‚Sex‘ schon einen eigenen Film im Kopf auslöst“.

„Angehörige wollen Menschen mit Beeinträchtigung oftmals vor dem Leben – und so auch vor der Körperlichkeit und Verliebtheit – schützen.“, meint außerdem Wolfesberger von Senia.

2. Wie haben Sie zu diesem Beruf/dieser Berufung gefunden? Was daran ist so faszinierend für Sie?

„Das war reiner Zufall. Ich habe erotische Massagen angeboten und eine Betreuerin eines Behinderten hat mir von der Ausbildung erzählt. So war ich bei dem ersten LIBIDA-Lehrgang im Jahre 2008 eine der ersten acht Pionierinnen. Und ja, Berufung ist hier genau das richtige Wort. Menschen berühren, ihnen Freude bereiten, ganz ohne Erwartungen und Druck – das ist ein unendliches Geschenk. Auch weil mir die Menschen, mit denen ich arbeite, so viel Offenheit, Vertrauen und Wertschätzung entgegenbringen“.

3. Wie sieht/sah die Sexualbegleitung konkret aus?

„Der erste Kontakt wurde meistens über E-Mail hergestellt – von Bezugspersonen, also Eltern oder Betreuern….oder auch vom Klienten selbst (…)

Jede Begegnung, jeder Mensch, sowie seine Wünsche und Phantasien sind im diesem Bereich sehr individuell. Es wurde bei der Sexualbegleitung nicht für die Handlung bezahlt (wie etwa in der Prostitution) sondern für die Zeit der gemeinsamen Begegnung. Ausgeschlossen waren hierbei Küssen, sowie Oral- und Geschlechtsverkehr. Es ging eher um Kuscheln, Streicheln, Berühren lernen, Aufklärung… Ich half beispielsweise auch beeinträchtigten Paaren, mehr Zärtlichkeit und Langsamkeit in ihre Berührungen zu bringen; oder auch, wenn sie aufgrund körperlicher Beeinträchtigung den Geschlechtsverkehr nicht alleine vollziehen konnte.“

5. Nun hat Ihnen das Gesetz quasi einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wie sieht Ihr weiterer Weg aus?

„Da es die LIBIDA-Sexualbegleitung nun nicht mehr gibt, werde ich neue Wege einschlagen. Das Thema ist gerade sehr sensibel, weil wir ehemalige SexualbegleiterInnen für die Anerkennung unserer Dienstleistung kämpfen und es als ungerecht empfinden, unsere Dienstleistungen nach dem Prostitutionsgesetz anbieten zu müssen (…) Durch die derzeitige Gesetzeslage sind uns jedoch die Hände gebunden“.

Wie geht es nun weiter?

Was bleibt den Betroffenen nun, da die Sexualbegleitung in Österreich nicht mehr als solche angeboten werden darf? Wolfesberger meint dazu: „Man muss dazu sagen, dass Sexualbegleitung an sich nur für wenige Menschen passt, weil sie oft auch einfach zu viel ist und eine Überforderung darstellen kann. Stattdessen gibt es auch die Sexual-Beratung, in der in Ruhe besprochen werden kann: ‚Was will ich eigentlich?‘.“ Dann gebe es laut der Behinderten- und Sexualpädagogin außerdem auch Menschen mit intellektueller und/oder körperlicher Beeinträchtigung, denen eine klassische Sexualbegleitung (die ja Zungenküsse und Oral- und Geschlechtsverkehr ausschließt) schlichtweg zu wenig wäre, weshalb der Besuch bei einer Prostituierten den Bedürfnissen oft schon näher käme.

So oder so, eine vertraute und behutsame Begleitung, im Rahmen derer ausgebildete SexualbegleiterInnen mit Achtsamkeit auf die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen eingehen, darf in dieser Form Österreich nicht mehr angeboten werden… außer unter der Bezeichnung und nach den Regelungen der Sexarbeit. Dass diese Änderung auf Unverständnis stößt ist wohl nachvollziehbar.