Was die Politik nicht schafft, muss die Kunst übernehmen: Nämlich kritisieren. Satire und Karikatur sind die Werkzeuge, mit denen man das Tagesgeschäft der Politik unterläuft, den Stimmungen in der Bevölkerung, die politische Entscheidungen nicht immer nachvollziehen kann, Ausdruck verleiht, mit denen man provoziert, schockiert und ja, vielleicht auch mal jemandem auf den Schlipps tritt. Passiert. Steht Kunst deshalb über dem Gesetz? Natürlich nicht. Aber Satire muss, soll und darf nicht diplomatisch sein. Sie soll auch nicht nur das liefern, was man in der Politik gerade als adäquat erachtet.

 

Der beliebte ZDF-Satiriker und Showmaster der Sendung Neo Magazin Royale Jan Böhmermann (35) spürt den Druck im Moment von allen Seiten: Wegen seines Gedichts, das sich gegen den türkischen Präsidenten Tayyip Erdogan richtet, gingen mehr als 20 Strafanzeigen bei der Mainzer Polizei ein. Ermittelt wird wegen des Verdachts auf Verstoß gegen Paragraf 103 des deutschen Strafgesetzbuches, welcher die Beleidigung von Organen oder Vertretern ausländischer Staaten regelt. Darauf gibt es bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe, wenn die Beleidigung in verleumderischer Absicht erfolgt – wenn sich diese zum Zeitpunkt der Tat im Inland befunden haben. ZDF-Vorzeigerotzlöffel Böhmermann zeigt sich heute geläutert und sagte seine Teilnahme an der heutigen Grimme-Preis-Verleihung kurzerhand ab. Sicher nur ein Akt des Wir-wollen-Gras-über-die-Sache-wachsen-Lassens. Trotzdem hat diese Entscheidung ein klares Statement. Im Internet reagiert man mit mal mehr mal weniger qualifizierter Kritik, aber auch mit Solidarität.

#Repost @ich_bin_barbara ・・・ #jesuisböhmi

Ein von Jan Böhmermann👨 (@jan_boehmermann) gepostetes Foto am

 

Solidarität, die der Sender ZDF gegenüber seines Shootingstars Böhmermann gerade nicht zeigt: Der Intendant des Zweiten Deutschen Fernsehens Thomas Bellut hat wegen dem Fall Böhmermann bereits vergangenen Montag mit dem türkischen Botschafter in Berlin telefoniert. Dabei habe Bellut Bedauern darüber geäußert, dass der Beitrag Gefühle von Zuschauerinnen und Zuschauern verletzt habe, so der Sender. Angela Merkel hatte in einem Telefonat mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu von den Versen Böhmermanns distanziert, betonte aber Medienberichten zufolge gleichzeitig die Relevanz von Pressefreiheit. Auch die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz betonte dies in einer Pressekonferenz. Nun ja. Vor dem ZDF-Studio in Istanbul wurde derweilen trotzdem für die Absetzung der Sendung demonstriert und mit Eiern durch die Gegend geworfen.

 

Das Gedicht, das durchgehend aus pikanten Zeilen besteht und gar nicht so recht in das Konzept des sonst so raffinierten Böhmermanns zu passen scheint, wird als „Schmähkritik“ betitelt. Was ist das genau? Wikipedia definiert: „Die Schmähkritik ist eine Äußerung, durch welche eine Person verächtlich gemacht werden soll und bei der es nicht mehr um eine Auseinandersetzung in der Sache geht. Polemische oder überspitzte Kritik ist hiervon noch nicht erfasst; erforderlich ist vielmehr, dass die Meinungsäußerung in der Herabsetzung der Person besteht.“

Zuvor hat ein Beitrag des Satiremagazins extra 3 von Mitte März für Aufregung gesorgt, in welchem die Verletzungen der Meinungs- und Pressefreiheit, sowie das Vorgehen der türkischen Armee gegen die Kurden thematisiert wurden. Nach der Ausstrahlung hatte die türkische Regierung den deutschen Botschafter bestellt und die Löschung des Beitrags gefordert. Böhmermann hat seine Schmähkritik mit den Worten präsentiert, dass so etwas in Deutschland nicht erlaubt sei.

 

„Ich fühle mich erschüttert in allem, an das ich je geglaubt habe„, postete der 35-Jährige auf Facebook. „Mein Team von der Bildundtonfabrik und ich bitten um Verständnis, dass wir heute Abend nicht in Marl feiern können.“ Böhmermann hätte den renommierten Fernsehpreis für seine Satire rund um den Mittelfinger des griechischen Ex-Finanzministers Yanis Varoufakis aus dem Frühjahr 2015 entgegen nehmen sollen. Gestern Abend durfte sich die neue Folge des Neo Magazins über einen leichten Anstieg der Einschaltquoten freuen: 290.000 Zuschauer schauten sich die Folge an, die Klicks im Netz exklusive. Dafür hat Böhmermann den perfekten Studiogast: die deutsche Fernsehjournalistin Anne Will, die das Thema gekonnt durch die Hintertür auf die Showbühne bugsierte und Böhmermann das Pakett für jenes verstörende Musikvideo vorbereitet (für die er ja bestens bekannt ist), indem dieser seine Enttäuschung über den Sender zum Ausdruck bringt. „Oh Bömi, tanz doch mal!„, sagt er dabei in einer Szene, in der er als Besoffener in einer Bar auftritt. Was er damit sagen möchte? Er will nicht immer der Typ sein, der ab und zu mal das Volk im Fernsehen bespaßt.

 

 

Fragen über Fragen über Fragen: Wie weit darf Satire gehen? Wird der § 103 in diesem Fall zum Mittel für die Durchsetzung von Zensurmaßnahmen? Herrscht hier einfach zu viel Raum für Interpretation? Fakt ist: Das deutsche Bundesverfassungsgericht setzt bei Schmähungen und überzogener Kritik das Persönlichkeitsrecht über das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dass man damit die so häufig betonte Pressefreiheit doch bis zu einem gewissen Grad untergräbt, versteht sich von selbst. 

Eines sollte man betonen: Nach den Anschlägen auf die Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo letztes Jahr sollte uns eigentlich mehr denn je bewusst geworden sein, dass wir, was künstlerische Freiheiten betrifft, keine Kompromisse eingehen dürfen. Weil Meinungs- und Pressefreiheit Grundlagen der Demokratie sind – und wenn man diese Rechte veräußert, degradiert man die Grundprinzipien einer Verfassung höchstens zu einem Haufen Richtlinien, an die man sich halten kann, aber nicht muss – vor allem dann nicht, wenn die Einhaltung ein bisserl unangenehm oder schwierig zu werden droht.

 

Aber Deutschland ist im Moment auf das Wohlwollen der Türkei angewiesen: Stichwort Flüchtlings-Deal. Die Türkei als Schlüsselfigur, die abgeschobene Flüchtlinge aus Griechenland aufnimmt und sich nun verstärkt im Mittelmeer bei Rettungsaktionen engagiert: im Gegenzug dafür wurden im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens weitere Fortschritte bei den EU-Beitrittsverhandlungen zugesagt, die noch in der ersten Jahreshälfte stattfinden sollen. Man möchte die mühevoll aufgebauten, diplomatischen Brücken auf keinen Fall zum Einsturz bringen. Aber indem Merkel die Grundrechte anrührt (oder zumindest die Bereitschaft dazu signalisiert), ermöglicht sie dem Autokraten Erdogan, Spott über seine Person zu verbieten – und so Zensur im Kleide der Diplomatie möglich zu machen.

Soviel steht fest: Satire, Karikatur & Co. stehen sicherlich nicht über dem Gesetz – sie müssen sich aber auch in keinem Fall politischen und diplomatischen Agenden unterordnen.