Ich bin gerade noch ein Millennial. Aufgewachsen bin ich in einer Gesellschaft, die aufgeklärt genug war, um zumindest theoretisch zu wissen, dass Frauen und Männer gleichgestellt werden müssen. Praktisch ist das eine andere Sache. Denn die alten Gesellschaftsstrukturen sind so festgefahren, dass sich Ungleichbehandlung und Sexismus in die einfachsten Aussagen und Verhaltensweisen schleichen. Beispielsweise, wenn jemand sagt: „Du bist noch jung, du wirst schon jemanden finden“.

Und diese Gesellschaftsstrukturen ändern sich nur langsam.

Die Frau wird anhand ihres Geschlechts beurteilt

Die Frau bleibt mit dem Kind zu Hause. Sie kocht, sie putzt, sie schmeißt den Haushalt, und das noch dazu mit einem Lächeln: Ich glaube, wir können alle zustimmen, dass dieses Rollenbild etwas veraltet ist, oder? Immerhin gab es im Zuge des 20. Jahrhunderts genug Frauen, die dafür kämpften, diese traditionellen Geschlechterrollen endlich zu durchbrechen. Die Britin Emily Davison stürzte sich im Kampf für die Rechte der Frauen sogar vor das Pferd des englischen Königs Georg V. und starb nur wenige Tage darauf. Das geschah vor 107 Jahren.

Heute schreiben wir das Jahr 2020. Es hat sich viel getan. Frauen gründen Unternehmen. Frauen dürfen wählen. Und Frauen regieren Länder. Aber irgendwie hat sich etwas Grundlegendes nicht verändert: Denn Frauen, egal welche Leistung sie erbringen, werden in der Regel immer im Hinblick auf ihr Geschlecht und ihr Dasein als Frau beurteilt. Und das geht einher mit all den Vorurteilen, die unsere Gesellschaft Jahrhunderte lang über dieses Geschlecht herangezüchtet hat. Isst die österreichische Politikerin Pamela Rendi-Wagner tatsächlich Schnitzel oder doch eher nur „ein paar Salatblätter“, wie sich die Chefredakteurin einer Tageszeitung bei einer Analyse fragte. Ist Taylor Swift eine Männer-Hasserin, weil sie über ihre Ex-Freunde singt? Ist Neuseeland gut durch die Corona-Krise gekommen, weil Premierministerin Jacinda Ardern eine Frau ist?

Die Leistung eines männlichen Politikers oder Sängers wird nur selten anhand seines Geschlechts bemessen. Oder wie sieht die Berichterstattung über Donald Trump und Kanye West aus? Spielt ihre Männlichkeit eine Rolle? Selten und schon gar nicht in den Mainstream-Medien.

Die Frau an der Seite des Mannes

Im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts hatte die Frau eine fixe Rolle in der Gesellschaft, und zwar an der Seite des Mannes. Der Mann als unabhängiger, starker „Brotverdiener“. Die weiche, sanfte, schwache Frau, die zu Hause bleibt, die Kinder hütet und von ihrem Mann abhängig ist. Die Frau ist stets an der Seite des Mannes. Auch, wenn diese Rollenverteilung zumindest in reichen Industriestaaten ein Ding der Vergangenheit ist, hat sich dieses Bild in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt und bestimmt weiterhin zumindest auf subtile Art, wie unsere Gesellschaft aussieht. Denn noch immer sind es Frauen, die die Hauptverantwortung für das Häusliche tragen. Laut Statistik Austria gaben 39 Prozent der Österreicherinnen im Jahr 2018 an, ihre Erwerbstätigkeit aufgrund von Kindererziehung reduziert zu haben. Bei den Männern waren es lediglich fünf Prozent. Im selben Jahr arbeitete hierzulande übrigens jede zweite Frau weniger als 40 Stunden in einem bezahlten Job, was zeigt: Teilzeit ist weiblich. Und der Hauptgrund für die Entscheidung zur Teilzeitbeschäftigung? Ja, richtig erraten: Kinder.

2020 befinden wir uns nun in Krisenzeiten. Und was beweist sich bekanntlich in einer Krise? Genau, der Charakter von Menschen beziehungsweise in diesem Fall der Charakter unserer Gesellschaft. Und der definiert sich momentan über unfaire, gesellschaftliche Machtverhältnisse. Das zeigt sich während der Pandemie etwa dadurch, dass systemrelevante Jobs meist weiblich sind. Laut Sozialforschungsinstitut SORA acht von zehn. So sind etwa die Mehrheit der Beschäftigten in der Kinderbildung, an der Kasse beziehungsweise Regalbetreuung, der Großteil der Reinigungskräfte, die Mehrheit im Bereich Pflege und medizinische Betreuung, in der medizinischen Assistenz, in der Alten- und Behindertenbetreuung und der Großteil des Lehrpersonals Frauen. Sie tragen also unsere Gesellschaft durch die Krise. Außerdem sind es auch Frauen, die sich während des weltweiten Lockdowns vermehrt um die unbezahlte Arbeit wie eben Haushalt und Kinderbetreuung kümmern. Laut einem UNO-Bericht erledigen sogar dreimal so viele Frauen wie Männer diese Arbeit.

„Du bist noch jung, du wirst schon noch jemanden finden“, sagt man vor allem zu Frauen

Was diese Machtverhältnisse vor allem zeigen ist, dass die Frau längst nicht mehr nur an der Seite des Mannes existiert und von diesem abhängig ist. Frauen tragen die Gesellschaft und leisten Arbeit, ohne die unser System gar nicht mehr weiterexistieren könnte. Und dennoch werden Mädchen großteils noch immer so erzogen, als bräuchten sie jemanden an ihrer Seite. Als müssten sie jemanden finden, denn sonst wären sie nicht vollständig. Das alles wäre aber keine Frage des Geschlechts und auch kein Sexismus-Problem, wenn man Buben ebenso erziehen würde. Das tut man aber nicht. Nur zu gerne fragt man ein heranwachsendes Mädchen, ob sie später einmal heiraten und Kinder haben möchte. Nur zu schnell redet man über die Freundin, die mit über 30 den „mutigen“ Schritt gewagt und sich von ihrem Freund getrennt hat. Und nur zu oft folgt darauf ein: „jetzt muss sie sich jemand anderen suchen, mit dem sie Kinder bekommen kann“.

Ich habe mich heuer nach langjähriger Beziehung getrennt. Wirklich traurig über die Trennung selbst war ich nie. Ich bin gerne Single und habe auch davor nie wirklich aktiv nach einer Partnerschaft gesucht. Ich habe mich einfach verliebt. Und genau aus diesem Grund war ich auch in einer Beziehung, nicht weil ich jemanden brauchte oder jemanden „finden wollte“. Und genau aus diesem Grund trauerte ich auch nach der Trennung. Nicht aber, um die Beziehung, sondern eben um den Menschen, den ich verloren habe. Und als ich schließlich meinem Bruder von der Trennung erzählte, wollte dieser mich naturgemäß aufheitern. „Du bist noch jung, du wirst schon jemanden finden“, wählte er als Worte der Unterstützung. Leider löste er damit das genaue Gegenteil von dem aus, was er eigentlich erreichen wollte. Denn ich wurde wütend.

Männer sind frei, Frauen müssen jemand anderen finden

„Du bist noch jung, du wirst schon jemanden finden“ ist ein Satz, den wahrscheinlich schon zahlreiche Frauen gehört haben. Eine Floskel, die man eben sagt, weil man sie sagt. Ohne viel darüber nachzudenken. Aber man sagt sie eben meist nur dann, wenn man mit einer Frau spricht. Nachdem mein armer, ahnungsloser Bruder von mir ohne Vorwarnung am Telefon beschimpft wurde und ich mit grantigen Fingern auflegte, fragte ich mich, ob mein Ex-Freund wohl auf gleiche Weise, mit den gleichen Worten aufgeheitert werden würde. Ich überlegte, wie ich meine männlichen Freunde aufheiterte, wenn sie eine Trennung durchmachten. „Freu dich, jetzt bist du Single“ oder „Hey, weniger Drama“ sind Sätze, die ich bestimmt schon öfters verwendet habe.

Mir wurde bewusst, wie unterschiedlich wir in unserer Gesellschaft Frauen und Männern im Kontext ihrer Beziehungen behandeln. Die Frau muss jemanden finden. Und noch dazu hat sie Zeitdruck das zu tun, denn die Biologie lässt es nun einmal nur auf begrenzte Zeit zu, dass eine Frau Familie gründen kann. Der Mann kann machen, was er will. Eine Beziehung hält ihn nur auf. Eine Trennung ist etwas Positives, etwas Befreiendes. Einer Frau bringen wir hingegen bei, eine Trennung als Versagen, als Rückschlag anzusehen. „Du bist noch jung, du wirst schon jemanden finden“ drückt genau das aus. Und genau deswegen ist dieser Satz, so unüberlegt und gut gemeint er auch ist, einfach nicht OK.

Und dennoch ist es irgendwie logisch, dass Beziehungen in unserer Gesellschaft für Frauen etwas anderes bedeuten als für Männer. Der Grund: Eben genau jene Machtverhältnisse, die Frauen doppelt belasten. Sie arbeiten und machen Karriere, sind aber gleichzeitig viel stärker in der Pflicht auch Haushalt und Kinderbetreuung zu übernehmen. Eine Frau, die aufgrund der Kinder ihre Arbeitszeit reduzieren muss, ist auf ihren Partner (oder auch auf ihre Partnerin) angewiesen. Wie schwer es alleinerziehende Mütter haben ist eine ganz andere Geschichte. Absurd wird das Ganze bei Frauen, die überhaupt keine Familie planen. Sie wollen niemanden finden und müssen dies auch nicht. Wieso also sagen: „Du bist noch jung, du wirst schon jemanden finden“?