Am 25. November findet der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen statt. Der seit 1981 begangene Aktionstag steht heuer im Schatten der Corona-Pandemie. Dabei ist das Thema Gewalt gegen Frauen noch immer aktuell.

20 Frauenmorde und 22 Mordversuche gab es 2020 bereits. Aber Gewalt beginnt nicht erst bei Mord.

20 Frauenmorde in Österreich

Zwischen 2014 und 2019 haben sich Frauenmorde, auch Femizide genannt, in Österreich mehr als verdoppelt. Waren es 2014 noch 14 Opfer, wurden 2019 schon 34 Frauen aufgrund ihres Geschlechts ermordet. Laut Angaben der Autonomen Österreichischen Frauenhäuser bestand beim überwiegenden Teil der Frauenmorde 2019 ein Beziehungs- oder familiäres Verhältnis zwischen Täter und Opfer. Frauen werden also von ihrem Freund, Ex-Freund, Bruder oder Schwager getötet.

2020 gab es laut Medienberichten bereits 20 Frauenmorde. Eine abstrakte Zahl, die vielleicht auf ersten Blick nicht allzu alarmierend wirkt. Dennoch sagt sie viel über die Gesellschaft aus, in der wir noch immer leben. Die Zahl zeigt uns, dass der Schutz des Lebens, der Freiheit und Gesundheit von Frauen nicht so viel Wert ist, wie er sein sollte”, erklärt Rosa Logar gegenüber der miss. Sie ist Geschäftsführerin der Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie, eine von zahlreichen österreichischen Einrichtungen, auf die in den 400.000 neuen Informationsbroschüren in Supermärkten, Arzt-Praxen und Apotheken hingewiesen wird. Die Aktion wurde von der Regierung kurz vor dem zweitägigen Gewaltschutzgipfel, der am 24. November zu Ende ging, angekündigt.

Gewaltschutzgipfel der Regierung

Gewaltschutz und vor allem der Schutz von Frauen scheint also wieder etwas an Priorität zu gewinnen, zumindest jetzt rund um den Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, zumindest medial und zumindest kurzfristig. Nach dem Gewaltschutzgipfel erklärte Frauenministerin Susanne Raab bei einer Pressekonferenz, dass man im Kampf gegen Gewalt an Frauen auf verstärkte Beratung und Aufklärung setzen möchte.

Daher starte noch diese Woche eine Informationskampagne in Printmedien, und zwar mit Slogans wie „Stopp der Gewalt“, „Du bist nicht alleine“, „Es ist nicht deine Schuld“ oder „Es gibt immer einen Ausweg“. Es müsse jede Frau in Österreich wissen, dass es einen Zufluchtsort gibt, betonte Raab. Ein Zufluchtsort wie etwa die Frauenhäuser in Österreich, die Frauen-Helpline oder eben die Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie. „Es ist natürlich immer gut, genügend Bewusstseinsbildung, Aufklärung und Information zu betreiben und die Betroffenen von Gewalt zu ermutigen, Hilfe in Anspruch zu nehmen“, erklärt Geschäftsführerin Rosa Logar.

5 Stunden pro Opfer und Jahr

Doch in den von der Regierung beworbenen Einrichtungen arbeiten Menschen, keine Maschinen. Menschen, die wie der Rest des Landes versuchen, trotz Corona-Krise, trotz der verschärften Regeln und Beschränkungen, ihrer Arbeit nachzugehen. Rosa Logar betont daher, dass es nicht nur reiche, verstärkt auf Information zu setzen. Man müsse auch die Kapazitäten dementsprechend ausbauen. „Wir müssen laut Vertrag 5.800 Opfer im Jahr betreuen. Wir betreuen ungefähr 6.000 Opfer von Gewalt an Frauen, familiärer Gewalt und Stalking. Das bedeutet, dass bei uns durchschnittlich pro Opfer 5 Stunden pro Jahr zur Verfügung stehen. Das ist einfach zu wenig. Die Kolleginnen sind ständig in Burnout-Gefahr”, schildert Logar.

Wie Frauenministerin Susanne Raab am 24. November ankündigte, will man die Beratungsstellen ausbauen. Es sollen demnach die bereits existierenden Beratungsstellen für Betroffene von sexualisierter Gewalt budgetär aufgestockt werden. In jedem Bundesland soll sichergestellt werden, dass es eine derartige Beratungsstelle gibt, so Raab. Auch die Beratungsangebote hinsichtlich der Fälle von Zwangsheirat sollen ausgebaut werden. Zum Thema Hass im Netz verwies Raab auf das bereits verabschiedete Paket gegen Cybergewalt. Wichtig sei auch, in diesem Bereich Schulungsangebot aufzubauen, sagte sie. Konkrete Budgetzahlen zu den einzelnen Maßnahmen lagen vorerst noch nicht vor.

Täter oder Opfer: Wo liegt der Fokus?

Innenminister Karl Nehammer verwies nach dem Gewaltschutzgipfel auf die geplanten verpflichtenden Beratungskurse für Gefährder. Schon das 3. Gewaltschutzgesetz 2019 legte einen Fokus auf die Täterarbeit. Täterarbeit ist auch ein wichtiger Bestandteil in der Interventionskette gegen häusliche Gewalt. Doch der Fokus auf den Täter brachte schon 2019 Kritik.

Man würde zu früh damit ansetzen, nämlich schon in der Akutsituation nach Gewalt. „Der Ausbau der opferschutzorientierten Täterarbeit war und ist dringend notwendig, jedoch nicht in der akuten Gewaltsituation, sondern vielmehr im Rahmen von rechtlichen Verfahren (strafrechtliche, zivilrechtliche und pflegschaftsgerichtliche Maßnahmen)“, schrieb damals etwa der Österreichische Frauenring. Auch Rosa Logar sieht diesen Ansatz als bedenklich an: “Das ist schon wie ein Schlag in die Magengrube, weil bei uns haben die Opfer im Jahr durchschnittlich 5 Stunden zur Verfügung. Und jetzt sollen in der akuten Gewaltsituation für die Täter sechs Stunden bereitgestellt werden. Das ist einfach nicht adäquat. Täterarbeit ist wichtig, wenn es gerichtlich zu einer Verpflichtung und Verurteilung kommt, aber nicht in der akuten Gewaltsituation.”

Gewalt gegen Frauen in Österreich verankert

Die Diskussion, wie man Frauen vor Gewalt schützen kann, ist in Österreich sehr aktuell. Auch, wenn das Thema durch die Corona-Krise in den Hintergrund gedrängt wird. „Es wird zwar von allen betont, dass es Gewalt gegen Frauen nicht geben darf, aber nur alleine davon, dass man es anspricht, wird sich nichts ändern„, sagt Rosa Logar. Die Kapazitäten der Einrichtungsstellen seien in der Pandemie noch enger. „Es fallen uns ständig Leute aus, etwa jene, die in Quarantäne bleiben müssen“, erklärt die Geschäftsführerin der Interventionsstelle.

Österreich ist beim Thema „Gewalt gegen Frauen“ keine Insel der Seeligen. Auch hier ist die Gewalt aufgrund des Geschlechts tief in der Gesellschaft verankert. Und Gewalt beginnt dabei nicht etwa erst bei Mord oder versuchtem Mord. Frauen sind struktureller, sexueller, körperlicher, psychischer und miterlebter Gewalt sowie Stalking ausgesetzt. Und obwohl unsere Politiker Zeichen gegen diese Form von Gewalt setzen und wir in Österreich zahlreiche Gesetze haben, die Frauen vor eben dieser Gewalt schützen, sind wir noch lange nicht da angekommen, wo wir als Gesellschaft hin möchten: Dass Frauen nicht mehr Gewalt widerfährt, weil sie Frauen sind. Rosa Logar kritisiert hier auch die Umsetzung der Gesetze. „Über 80 Prozent der Anzeigen kommen überhaupt nicht zu einer strafrechtlichen Behandlung, werden entweder außergerichtlich geregelt oder sie werden eingestellt. Das ist natürlich ein sehr problematisches Signal der Gesellschaft.“

Frauenkörper werden nur „Stück für Stück“ geschützt

Den Opfern würde vor Gericht zudem immer noch zu wenig Glauben geschenkt. „. „Das hat mit dem Geschlechterverhältnis zu tun – mit den patriarchalen Resten, die wir noch immer in unserer Gesellschaft finden“. Und auch das „Victim Blaming“, also die Opferbeschuldigung sei hierzulande weiterhin tief verankert. „Das stimmt uns natürlich sehr besorgt und hier sehen wir auch Rückschritte in den letzten Jahren“, so Logar. Sie kritisiert zudem die Gesetzes-Lücken im Hinblick auf sexuelle Gewalt. “Der Schutz vor sexuellen Übergriffen im öffentlichen Raum beschränkt sich immer noch auf bestimmte Körperteile”, erklärt Logar. “Das ist etwas, was auch dringend geändert gehört. Man sollte nicht Stück für Stück den weiblichen Körper schützen, sondern einen ganzheitlichen Ansatz wählen.”,

Das nächste Stück wurde übrigens letzte Woche vorgestellt. Das sogenannte Upskirting, also das ungewollte Fotografieren in den Schritt oder das Dekolleté wird im Zuge des neuen Gesetzespakets zu „Hass im Netz“ mit 1. Jänner 2021 unter Strafe gestellt. Doch noch bevor das Gesetz greift, ruderte man hier ein Stück zurück. Statt des ursprünglich vorgestellten Strafmaßes von einem Jahr, müssen Täter hier nur noch mit einer Strafe von bis zu sechs Monaten rechnen, sofern sie die Bilder nicht verbreiten.

Die Istanbul-Konvention und der umfangreiche Schutz der Opfer

2011 wurde ein völkerrechtlicher Vertrag ausgearbeitet, der verbindliche Rechtsnormen gegen Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt schafft: Die Istanbul-Konvention wurde bis März 2020 von 45 Staaten unterzeichnet und von 34 ratifiziert. Österreich setzte die im Vertrag ausgehandelten Punkte 2013 in Kraft. Die Konvention sagt deutlich aus, dass es einen umfangreichen Ansatz zum Schutz vor Gewalt geben muss. Sie sieht vor, dass die Gleichstellung der Geschlechter in den Verfassungen und Rechtssystemen der Unterzeichnerstaaten verankert sein muss und sämtliche diskriminierende Vorschriften abzuschaffen sind. 

Und genau hier beginnt der Schutz der Frauen vor Gewalt: Bei der Gleichstellung der Geschlechter. Frauenmorde, Ex-Freunde, die 16-jährige Mädchen mit Messern attackieren, Stalker und auch Hass-Postings gegenüber Frauen können erst dann ausgelöscht werden, wenn die auch bei uns noch vorherrschenden Machtstrukturen und Geschlechterunterschiede der Vergangenheit angehören. Dieser Meinung ist auch Rosa Logar. „Die tatsächliche Gleichstellung der Frauen und Mädchen ist Voraussetzung dafür, dass wir die Gewalt als Mittel zur Ausübung von Macht und Kontrolle eliminieren. Das sieht auch die Istanbul-Konvention vor.“


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