Kamala Harris wird Vizepräsidentin der USA. Der Demokrat Joe Biden hat die US-Wahlen Anfang November für sich entschieden. An seiner Seite wird ab 20. Jänner die erste Frau und die erste Schwarze Vizepräsidentin stehen.

Kamala Harris schreibt also Geschichte. Doch wer genau ist die künftige zweitwichtigste Person der Vereinigten Staaten?

Die Erste aber nicht die Letzte

Sie ist gerade joggen. Ihr dunkelgraues Laufgewand und Sonnenbrille sind betont unauffällig. Sie sieht aus wie jede andere Läuferin und irgendwie ist sie das auch. Doch mitten in ihrem Workout ändert sich plötzlich alles: Die Stimmen der US-Wahlen sind fast fertig ausgezählt, Demokrat Joe Biden hat weitere Wahlleute für sich gewinnen können. Donald Trump hat keine Chance mehr und Kamala Harris wurde soeben zur ersten Vizepräsidentin der USA. Und zur ersten Schwarzen Vizepräsidentin der USA. Und zur ersten asiatischen Vizepräsidentin der USA. „We did it Joe“, sagt Harris ins Telefon. Am anderen Ende der Leitung: Joe Biden, der soeben zum 46. Präsidenten der USA gewählt wurde.

Sie war schon oft die Erste: Die erste Frau auf dem Chefposten der Bezirksstaatsanwaltschaft von San Francisco, die erste Justizministerin Kaliforniens, die erste Senatorin mit dunkler Haut, die Kalifornien in Washington vertrat. Nun ist sie die erste schwarze und erste asiatisch-amerikanische Frau, die das Amt des Vizepräsidenten bekleidet.

Mit ihren 56 Jahren bringt die Amerikanerin mit jamaikanisch-indischen Wurzeln frischen Wind in das Team rund um den 77-jährigen gewählten Präsidenten Joe Biden. Sie repräsentiert das liberale, junge Amerika und steht somit auch in starkem Kontrast zu dem abgewählten US-Präsidenten Donald Trump. In ihrer Siegesrede macht Harris vor allem jungen Mädchen Mut:

„Auch, wenn ich die erste Frau in diesem Amt sein mag, werde ich nicht die letzte sein. Denn jedes kleine Mädchen, das heute Nacht zuschaut, sieht, dass dies ein Land der Möglichkeiten ist.“

Kamala Harris

„Ich rede“

Eine der Aufgaben von Joe Bidens „Running Mate“ war, nicht-weiße Wähler für Joe Biden zu mobilisieren. Von ihr erwarten sich die Wähler nun, dass sie sich auch in ihrer Amtszeit für die Belange von PoCs (People of Color) einsetzt. Harris hat bereits im Wahlkampf gezeigt, dass sie sich durchzusetzen weiß. Immer wieder wurde sie von Trumps Anhängern wegen ihres Geschlechts und ihrer Hautfarbe angegriffen. US-Präsident Trump weigerte sich, ihren Namen richtig auszusprechen. Nach dem TV-Duell der Vizekandidaten beschimpfte Trump sie sogar als „Monster“. Harris war Mike Pence, dem aktuellen Vizepräsidenten in Debatten zudem klar überlegen. Während Trump im ersten TV-Duell der Präsidentschaftskandidaten Joe Biden kontinuierlich ins Wort gefallen war, konnte sich Harris beim Vize-Duell schnell durchsetzen. „Mr. Vice President, I am speaking“, also „Herr Vizepräsident, ich spreche“ wurde daraufhin zum geflügelten Wort.

Wer ist die neue Vizepräsidentin?

Große Bekanntheit erlangte die Senatorin 2019, als sie sich ins Rennen um die Nominierung des demokratischen Präsidenten schmiss. Anfangs galt sie als unmittelbare Spitzenreiterin, jedoch war sie bereits Ende des Jahres wieder aus dem Rennen. Kritiker warfen ihr vor, keine klaren Positionen zu formulieren. Bei liberalen Aktivisten erfreute sich Harris aber aufgrund ihrer harten Kritik und harten Befragung von Kandidaten und Beamten der Regierung unter Donald Trump großer Popularität. So unterzog sie Trumps umstrittenen Kandidaten für das oberste Gericht, Brett Kavanaugh, einem harten Verhör. Der Bestätigungsprozess von Kavanaugh im Senat war 2018 extrem kontrovers, nachdem mehrere Frauen ihn sexueller Übergriffe beschuldigt hatten. Er wurde am Ende nur knapp mit den Stimmen der Republikaner gewählt.

Dennoch gilt Harris – wie auch Biden – als moderat und pragmatisch, nicht als Ideologin. Sie bleibt in ihren Positionen bisweilen uneindeutig. Im linken Parteiflügel, wo man lieber die progressive Senatorin Elizabeth Warren als Kandidatin gesehen hätte, schaut man eher skeptisch auf Harris. Für ihre Zeit als Staatsanwältin in Kalifornien erntete Harris Kritik aus der schwarzen Bevölkerung und vom linken Flügel der Demokraten. So wurde ihr vorgeworfen, die Rolle der Polizei bei Schießereien nicht ausreichend untersucht zu haben. Ihre Unterstützter beharren hingegen darauf, Harris sei immer offen für Reformen gewesen. Sie verweisen auf ihre Bilanz im Senat, in den sie 2016 als erst zweite schwarze Frau überhaupt gewählt worden war. Dort setzte sie sich unter anderem für eine Polizeireform ein. Zudem verteidigte Harris die Todesstrafe auch dann noch, als sie ein kalifornischer Richter 2014 für verfassungswidrig erklärte.

Tochter eines Jamaikaners und einer Inderin

Kamala Harris ist die Tochter von Donald Harris, einem Wirtschaftswissenschafter an der Stanford University, der aus Jamaika in die USA kam, und der Ärztin und Brustkrebsforscherin Shymala Gopalan, die in Indien geboren wurde. Gopalan war zudem Bürgerrechtlerin. Harris lebte nach der Scheidung ihrer Eltern zeitweise im kanadischen Montreal. Sie studierte an der Howard University in Washington D.C Politikwissenschaften und Wirtschaftswissenschaften. 1986 machte sie ihren Bachelorabschluss und studierte an der University of California Rechtswissenschaften. 1990 erhielt sie ihre Zulassung als Anwältin.