„Aber wirst du dann nicht extrem einsam sein?“, fragte mich meine Mutter als ich vor sechs Jahren beschloss, alleine in eine Wohnung zu ziehen – ohne Mitbewohner, ohne Lebenspartner. Nur ich, meine Kleidung, meine Bücher und das Geschirr meiner Oma. „Alleinsein bedeutet nicht gleich, einsam zu sein“, entgegnete ich.

Ich bin gerne alleine. Das war ich schon immer. In meiner Kindheit mit vier Brüdern war das Alleinsein ein Luxus. Und selbst wenn ich alleine war, konnte ich die Red Hot Chilli Peppers-Lieder, die mein Bruder in seinem Zimmer aufgedreht hatte, noch immer hören. Mittlerweile lebe ich seit sechs Jahren alleine und höre nur die Red Hot Chilli Peppers-Lieder, dich ich in meinem Zimmer aufgedreht habe.

Das Alleinsein nimmt zu, ist aber immer noch ein Tabu

Das traditionelle Familienbild zerbricht immer mehr. Sich verlieben, zusammenziehen, heiraten, Kinder bekommen: Nicht jeder möchte diesen Weg noch gehen. Und selbst jene, die ihn bestreiten, gehen das letzte Stück des Weges dennoch oftmals alleine. Immer mehr Menschen leben in Einzelhaushalten. Laut Statistik Austria hat sich die Zahl der Single-Haushalte von 1986 fast verdoppelt. In Deutschland gibt es mehr als 16 Millionen Haushalte, die aus nur einer Person bestehen. In Zusammenhang mit diesen Zahlen wird oft vor Vereinsamung gewarnt, besonders bei älteren Menschen. Vor allem in der Pandemie hat das Thema rund um Einsamkeit und Isolation an Aktualität gewonnen. Und es gibt auch zahlreiche Studien, die belegen, dass Einsamkeit krank machen kann. Der Mangel an sozialen Interaktionen kann sich negativ auf unser seelisches und unser körperliches Wohlbefinden auswirken.

Aber Alleinsein bedeutet nicht gleich Einsamkeit. Dennoch ist beides in unserer Gesellschaft irgendwie tabuisiert. Wer gerne alleine ist, ist ein Einsiedler. Wer nicht gerne unter Menschen ist, ist asozial. Wer einsam ist, schämt sich meist und traut sich nicht wirklich, darüber zu sprechen. Zu groß ist das Stigma. Auf der anderen Seite wird man als Single-Haushalt auch 2020 noch oft gefragt: „Aber bist du dann nicht einsam?“ Nein, denn alleine sein und einsam sein hat nicht viel miteinander zu tun.

Wie man mit sich selbst klarkommt

Alleinsein ist 2020 ohnehin so eine Sache. Denn durch Social Media, Netflix und Zoom-Veranstaltungen ist man doch nie wirklich ganz alleine. Irgendwie haben wir es verlernt, uns in Ruhe mit uns selbst zu beschäftigen, unsere Gedanken zu sortieren und stillzusitzen. Selbst die auf Instagram so zelebrierte „Me-Time“ hat wenig mit Alleinsein zu tun. Meditieren, Self-Care, Sport: wir tun viel, um uns selbst zu optimieren und schöne Fotos hochzuladen, die andere Menschen dann mit einem Herz bestätigen.

Was ich in meinen sechs Jahren als Solo-Bewohner einer 30 Quadratmeter-Wohnung gelernt habe ist, dass ich mich glücklich schätzen kann, nicht einsam zu sein. Viele Menschen sind das nämlich vor allem jetzt. Doch während ich mich (zumindest war das vor 2020 so) gerne und oft mit meinen Freunden treffe und eine große Familie habe, die ständig fragt, wie es mir geht, habe ich mittlerweile gelernt, wenn ich nach Hause komme, die Türen schließe, den Computer ausmache und das Handy weglege, mit mir selbst klarzukommen. Ich kann die Zeit, die ich für mich selbst habe, immer noch genießen. Sie nimmt mir die Hektik des Alltags und lässt mir den Raum, über wichtige Dinge nachzudenken oder einfach einmal abzuschalten und nichts zu tun. Alleinsein kann etwas unheimlich Schönes sein. Und Alleinsein muss nicht zwangsläufig Einsamkeit bedeuten.