Wer kennt es nicht? Fängt das Kind in der Öffentlichkeit an zu schreien (in einem voll besetzten Bus – besonders beliebt!), bekommt man von fremden Menschen sofort Blicke zugeworfen, die töten könnten. Da bleibt oft nur der letzte Ausweg: Die eigene Haut retten und dem Kind das Smartphone mit einem lustigen Video in die Hand drücken.

Doch gerade darin sieht der Kinderpsychiater Michael Winterhoff ein Problem. Im Interview mit Business Insider sagt er: „Ich sehe seit dem Jahr 1995 eine Tendenz, dass Eltern die Launen ihrer Kinder immer weniger ertragen und ihnen einfach schnell das geben, was sie wollen, damit sie ruhig sind“. Denn in 1995 habe die digitale Revolution eingesetzt: Früher drückte man dem Kind den Gameboy in die Hand, heute eben das Smartphone. Aus einer Studie geht hervor, dass 75 Prozent der deutschen Kinder zwischen zwei und vier Jahren bereits täglich mehr als 30 Minuten mit dem Smartphone spielen. Eine gefährliche Entwicklung, meint Winterhoff.

Wir verlernen, auf etwas warten zu müssen

Diese Erziehungsmaßnahme führe dazu, dass aus Kindern unfähige Erwachsene werden. Denn im „Erwachsenenleben“ bekommt man nicht immer alles sofort, ohne sich dafür anstrengen zu müssen. Aber genau das glauben Kinder, die früher immer sofort ihren Willen durchsetzen konnten, behauptet Winterhoff. Im täglichen Leben, sei es eine Beziehung oder im Berufsleben, müsse man immer wieder Situationen ertragen, die nicht angenehm sind – diese Fähigkeit nennt man Frustrationstoleranz. Man hält etwas aus, obwohl es nervt. Ganz einfach, weil man muss.

Diese Fähigkeit ist extrem wichtig, um im (manchmal frustrierenden) Alltag bestehen zu können. Denn das Leben ist nun nicht jeden Tag Friede, Freude, Eierkuchen. „Die Frustrationstoleranz sollte bei Kindern schon ab dem achten oder neunten Monat ausgebildet werden“, sagt Winterhoff. Das bedeutet, ab diesem Alter muss das Kind lernen, dass es auch mal etwas warten muss und nicht alles sofort bekommt, wenn es laut genug schreit und weint. „Davor ist das sinnlos. Wenn Babys schreien, dann wollen sie nun einmal sofort etwas trinken oder in den Arm genommen werden.“