Pünktlich zur Weihnachtszeit veröffentlicht Disney mit „Strange World“ seinen neuen Animationsblockbuster. Das Abenteuer auf einem fremden Planeten besticht aber nicht nur mit Heldensagen, sondern auch mit jeder Menge Diversität.

Warum es dafür höchste Zeit wurde, erfahrt ihr in unserem Filmcheck.

Disney und die (heterosexuelle) Liebe

Disney und die LGBTQIA+ Community hatten in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder ihre Schwierigkeiten. Mal abgesehen davon, dass es die ersten Jahrzehnte des Filmunternehmens nur heterosexuelle Paare und sehr patriarchale Vorstellungen vom „Happy Ever After“ gab, sorgten in den letzten Jahren vor allem Rückzieher für Aufregung.

Wie etwa in der Realverfilmung von „Die Schöne und das Biest“ im Jahr 2017. Damals wurde ein großer Moment für die LGBTQIA+ Community angeteasert. Denn Le Fou sollte den ersten „expliziten gay moment“ bekommen, indem er mit einem Mann tanzt. Doch der Hype und die Freude wurden bald geschmälert, als das Ergebnis ein zwei Sekunden langer Tanz war, bei dem von einer homosexuellen Beziehung wirklich jede Spur fehlte.

„Strange World“ stellt die Animationswelt auf den Kopf

Doch Disney hat dazugelernt. 2022 sah das Publikum in „Lightyear“ etwa den ersten gleichgeschlechtlichen Kuss. Zumindest in den Ländern, in denen die Szene nicht herausgeschnitten wurde. Und jetzt – fast 100 Jahre nach dem Entstehen von Disney – folgt die erste queere Hauptfigur im Animationsfilm.

Denn in „Strange World“ steht Ethan Clade im Fokus der Handlung. Ein Teenagerjunge, dessen Vater dafür verantwortlich ist, dass seine Welt Elektrizität hat. Als die dafür verantwortliche Energiequelle dann vor dem Aus steht, macht sich Ethan mit seinem Vater und seiner Mutter auf die Reise, den Ursprung der Energiequelle zu finden und den Schaden zu beheben.

Und was sie dort entdecken ist ein vollkommen neues kunterbuntes Ökosystem voller unbekannter Kreaturen, Landschaften und dem lang verschollen geglaubten Großvater. Und immer wieder steht die Frage im Raum: sollen wir dieses Land schützen oder können wir die Energiequelle für unser Wohl nutzen?

„Strange World“ zeigt queere Hauptfigur

Aber halt mal, wo ist denn hier die versprochene queere Storyline? Da geht es doch nur um Abenteurer – und Klimaschutz. Wo bleibt da die Repräsentation? Nicht so schnell. Denn auch, wenn der Fokus von „Strange World“ auf dem Abenteuer liegt, kommt auch die Liebe nicht zu kurz. Denn in einem Moment des Films sieht man Ethans beste Freunde – und seinen Schwarm Diazo. Ein Junge, der den Teenager total in seinen Bann gezogen hat. Ein Sideplot, der nicht nur zuckersüß ist, sondern Ethan im Laufe des Films auch dabei hilft, Entscheidungen zu treffen.

Das Schöne an dieser Repräsentation ist aber genau das: sie ist ein Sideplot. Ethan ist an erster Stelle ein Entdecker, der versucht, die Welt zu erforschen und zu retten. Dass er dabei einen Crush auf einen Jungen hat, ist für seine Familie und sein Umfeld nicht nur vollkommen natürlich, sondern nicht einmal weiter der Analyse wert. Eine Einstellung, die wir eigentlich kaum in Produktionen sehen.

Queere Storyline ohne überzogene Dramatik

Denn nur allzu oft bedienen sich Filmemacher:innen den gängigen Klischees wie dem schwierigen Coming-Out, einer heimlichen Liebelei oder einem intoleranten Familienmitglied. Plots, die allesamt ihre Berechtigung haben und bestimmt auch das Leben und den Alltag von vielen Menschen geprägt haben, dem Thema Queerness aber immer wieder auch einen sehr tragischen Aspekt geben.

Dabei braucht es doch auch endlich queere Romantik, die einfach nur das ist: Romantik. Ethans Sexualität wird einspruchslos akzeptiert und nicht weiter ausgemerzt. Stattdessen stehen viel mehr die Emotionen im Vordergrund, die Ethan durchlebt, wenn er mit seinem Crush kommuniziert. Dieses unangenehme, cringe-Gefühl, dass beide verspüren, weil sie einfach nicht offen über ihre Gefühle reden wollen. Ein Gefühl, das wohl jeder ganz unabhängig der sexuellen Orientierung kennt. Und das Ethans Vater auch thematisiert. Nicht, um seine Sexualität zu verstehen, sondern weil er seinem Sohn zu seiner ersten Beziehung verhelfen will – und als überfürsorglicher Vater auch noch die Rolle des Wing-Man übernehmen will.

Passt Klimaschutz in einen Kinderfilm?

Und genau diesen unterschwelligen Ansatz verfolgt „Strange World“ auch bei dem großen Thema des Films: Klimaschutz. Denn im Laufe des Films lernen wir, dass nicht jede Energiequelle ausgemerzt werden muss. Nicht alles, was uns als Menschen Vorteile bringt, ist auch für die Welt und die Gesellschaft gut.

Es sind Themen, die wohl kaum passender sein könnten als jetzt. Einer Zeit, in der die „Letzte Generation“ mit ihren Protestaktionen beinahe wöchentlich für Schlagzeilen sorgt und sich Klimawandel-Leugner:innen im Sekundentakt online mit Klimawandel-Aktivist:innen streiten. Ein Thema, das für viele wohl nicht gerade nach Kinderfilm schreit, in „Strange World“ aber so liebevoll behandelt wird, dass die Moral von der Geschichte – so kitschig sie auch ist – am Ende nicht wie eine Predigt wirkt, sondern wie der natürliche Lauf der Geschichte.

Denn wie auch bei der Thematik des Crushes geht es hier weniger um die große Moral und das große Ergebnis, als die Emotionen der einzelnen Charaktere. Es geht um Nächstenliebe, das Ziel von Eltern, ihre Kinder bestmöglich auf das Leben vorzubereiten und den großen Wunsch, dass es uns allen gut geht. Eine bessere Message hätte Disney so kurz vor Weihnachten wohl nicht nutzen können.