Sonita Alizadeh blickte in eine triste Zukunft: Sie sollte verkauft werden. Mit zehn Jahren zum ersten Mal, da sollte sie mit anderen Kindsfrauen „verkauft werden“ spielen. Das Geschäft kam dann glücklicherweise nie zu Stande. Mit 18 Jahren wollte ihre Mutter sie dann wieder verkaufen. Um 9.000 Dollar.

Die heute 19-Jährige kam als Migrantin ohne Papiere von Afghanistan nach Teheran, ihre Familie ist konservativ, die Mutter interessiert sich nicht für die Wünsche und Träume ihrer Tochter, sondern nur dafür „was sie kostet“. Zwangsverheiratet werden, das heißt für die Mädchen, ihre Schulbildung abzubrechen, kaum Rechte  zu haben, ein Dasein als Leibeigene zu fristen – ist aber in vielen Ländern Tradition.

Kinderheirat in Bangladesch 

 

In ihren Texten prangert sie an, dass viele Muslime den Koran gar nicht gelesen hätten, wie in ihrem YouTube-Hit Brides For Sale: „Ich wünschte, ihr würdet den Koran lesen, ich wünschte, ihr würdet wissen, dass darin nicht steht, dass Frauen zu verkaufen sind“, rappt sie in einem weißen Brautkleid, während sie mit blauem Auge, Narben im Gesicht und Tränen in den Augen zornig in die Kamera blickt.

Die Musik ist ihre Waffe und gleichzeitig ihre Therapie – so kann sie verarbeiten, was sie bei vielen Freundinnen miterlebt hat und was beinahe ihr eigenes Schicksal gewesen wäre:

Die junge Musikerin, die auf ihrer Flucht von Taliban bedroht und beinahe erschossen worden wäre, sich als Putzfrau durchgeschlagen hat und schließlich in Amerika ihren Frieden gefunden hat, rappt über ihr Leben, weil sie durch den Rap Geschichten erzählen kann. Ihre Vorbilder: M.I.A., Missy Elliott, Eminem. Sonita will jetzt weiter zur Schule gehen und später Anwältin für Frauenrechte werden: In Amerika kann sie nun studieren, single sein und Musik machen (solo zu singen ist im Iran illegal, außer man hat eine Erlaubnis von der Regierung).

2014 hat sie einen Wettbewerb mit 1.000 Dollar Preisgeld gewonnen – das Geld hat sie ihrer Mutter geschickt, um ihr zu zeigen, dass sie Geld verdienen kann „wie ein Mann“. In Interviews sagt sie, dass Familien oft keinen anderen Ausweg wüssten und deshalb ihre Töchter verkaufen würden. Sie will versuchen, ihnen zu zeigen, dass es neue Wege gibt, um die Töchter zu versorgen.

Kinderheirat in Bangladesch

 

In vielen Ländern in Südasien, Afrika, Südamerika und im Mittleren Osten, gilt ein Mädchen um die 10 Jahre durchaus als heiratsfähig. In Indien sind 29 Prozent der Mädchen bereits vor ihrem 15. Lebensjahr verheiratet, 65 Prozent heiraten bevor sie 18 werden. Auch, wenn das Verheiraten der Kinder häufig illegal ist, werden Verstöße nicht genügend geahndet. Das bedeutet, dass viele Eheschließungen nach Mitternacht stattfinden, die Kinder oft nachts geweckt und zu ihrer eigenen Hochzeit gebracht werden – und das ganze Dorf schweigt. Oft ist es so, dass die Töchter dann noch bis zu Pubertät bei ihren Familien bleiben; in einer zweiten Zeremonie zieht die junge Ehefrau dann zu ihrem Ehemann.

Finanzielle Not ist der häufigste Grund für die Zwangsverheiratung der Tochter. Offene Statistiken gibt es aus vielen Ländern keine. Manche Eltern sind auch der Meinung, dass sie ihren Töchtern sexuelle Gewalt und Scham ersparen, wenn sie sie möglichst bald verheiraten, sie spüren gesellschaftlichen und finanziellen Druck. Auch die Meinung, dass eine junge Braut noch „formbar“ sei, also weniger Ärger mache und möglichst viele Kinder gebären kann, ist vorherrschend.

Kinderheirat in Bangladesch 

 

Tatsächlich nimmt man ihnen aber nicht nur jede Chance auf ein selbstbestimmtes Leben und setzt sie großer Gefahr aus, sondern raubt ihnen auch ihre Kindheit und zwingt sie häufig, mit sehr viel älteren Männern zusammenzuleben. Schwangerschaft und Komplikationen bei der Geburt zählen zu den häufigsten Todesursachen in Entwicklungsländern bei Mädchen zwischen 15- und 19 Jahren, so die Organisation „Girls Not Brides„, vor dem 15. Lebensjahr ist das Sterberisiko während der Geburt sogar fünf Mal höher. Wehren können sich die Mädchen gegen das ihnen vorbestimmte Schicksal kaum. Auch Jungen sind von Zwangsheirat betroffen: Weltweit werden etwa 33 Millionen junge Männer verheiratet, bevor sie 18 Jahre alt sind.

Filmemacherin Rokhsareh Ghaemmaghami hat Sonitas Geschichte nun verfilmt: Sonita heißt der Dokumentarfilm, der beim Sundance-Filmfestival ausgezeichnet wurde. Sonita hat außerdem eine eigene Initiative „Sonitas Dream“ gegen Zwangsheirat ins Leben gerufen.