Die Frage, ob man mehrere Menschen gleichzeitig lieben kann, könnte ich so nicht beantworten. Zumindest nicht, wenn ich sie von einer romantischen Perspektive aus betrachte. Zurzeit erscheint es mir nicht möglich, eine emotionale Bindung zu mehr als einen Menschen aufzubauen. Aber ich weiß auch, dass ich es mir früher nicht vorstellen konnte, in jemanden verliebt zu sein und trotzdem mit anderen Menschen zu schlafen. Und dennoch bin ich jetzt in einer glücklichen, offenen Beziehung. 

Deswegen frage ich mich, ob sich ein offener Zugang in Sachen Liebe, Beziehung und Sex immer weiterentwickelt und, ob mit anderen Menschen zu schlafen der erste Schritt ist, sich der Polyamorie anzunähern.

Wie unterscheidet sich die offene Beziehung von der Polyamorie?

In einer offenen Beziehung ist es normal, einen fixen Partner zu haben, aber trotzdem mit anderen Menschen außerhalb der Beziehung zu schlafen. Die Regeln einer solchen Beziehung variieren von Paar zu Paar. Ich weiß, dass es offene Beziehungen gibt, in denen sich beide sagen, dass „alles erlaubt ist“. Und, dass sie nicht weiter darüber reden. Dann gibt es aber auch Paare, die strikte Regeln haben, an die man sich halten muss. Und das finde ich auch gut. In einer offenen Beziehung hat man viel Spielraum, um herauszufinden, was man als Paar möchte und was nicht. Mann kann seine eigenen Regeln finden und sich seine Beziehung so gestalten, wie man möchte.

Aber egal, wie unterschiedlich offene Beziehungen sein können, in einer Sache sind sie gleich: die emotionale Komponente, die es mit anderen Menschen geben kann, fällt weg. Hier ist es nicht erlaubt, sich außenstehenden Menschen emotional anzunähern. Eine offene Beziehung beschränkt sich hauptsächlich auf das Körperliche.

Anders in der Polyamorie. Hier ist es OK, sogar gewünscht, dass ein Mensch zwar in einer Beziehung ist, aber trotzdem andere Menschen liebt. Und dann nicht nur die eigentliche Beziehung führt, sondern zu jedem anderen Menschen auch eine aufbaut. Jede Person, die involviert ist, weiß darüber Bescheid. Ein großer Aspekt der Polyamorie ist es, in offener Kommunikation mit allen Beteiligten zu leben. Da ist es nur normal, wenn ein Mensch, der in verschiedenen Beziehungen lebt, mit allen gleichzeitig Zeit verbringt.

Ist es möglich, von körperlichen zu emotionalen Komponenten zu wechseln?

Manchmal frage ich mich, wie polyamore Menschen es schaffen, so zu leben. Ich glaube nicht, dass ich das könnte. Aber dann erinnere ich mich immer wieder an die Zeit, in der Monogamie die einzige Möglichkeit für mich war, eine Beziehung zu führen. Zwar war ich damals um einiges jünger, aber dennoch war ich mir sicher. Mit der Zeit habe ich Erfahrungen gesammelt und für mich herausgefunden, was das Richtige ist. Wie kann ich also sagen, dass ich Polyamorie nicht verstehen kann, wenn ich es noch nie probiert habe und dementsprechend nicht kenne? In beiden Beziehungsformen steht doch im Fokus das zu tun, was sich gut anfühlt. Sich selbst nicht zurücknehmen zu müssen und auf seine eigenen Emotionen zu hören. Einfach, dass man es schafft, für sich selbst einzustehen – trotz Liebe.

Was passiert, wenn ich in einer offenen Beziehung bin, aber Gefühle für jemanden habe, mit dem ich zurzeit schlafe? Das kann passieren und ist, eigentlich, doch nicht weiter schlimm, oder? Muss es zwingend bedeuten, dass die Gefühle für die eigentliche Person verschwunden sind?

Ist eine offene Beziehungsform der erste Schritt in Richtung Poly?

Ich glaube nicht, dass eine offene Beziehung immer der Einstieg in die Polyamorie sein muss. Ich bin sicher, dass es für jeden eine Beziehungsform gibt, die für einen passt. Ob es mehr werden, hängt von der Person ab. Dennoch glaube ich, dass Menschen, die in anderen Beziehungsformen als der Monogamie leben, aufgeschlossener sind. Auch, weil man sich in anderen Beziehungsformen oft rechtfertigen muss und sich somit einfach immer wieder neu damit beschäftigt und sich bestätigt, dass man das wirklich will. Ich habe gemerkt, dass man aufgeschlossen und offen sein muss, wenn man etwas tut, das sich außerhalb der Box bewegt. Für meine offene Beziehung musste ich mich öfter rechtfertigen, als ich zugeben würde. Der Grund, wieso ich das immer noch kann, ist der, dass ich offen bin und darüber reden kann – abgesehen davon, dass ich verliebt bin.

Aber ich habe mitbekommen, dass sich durch das ständige Auseinandersetzen mit der eigenen Beziehungsform, der Horizont erweitert. Man bekommt mit, was es sonst alles noch für Möglichkeiten gibt. Und dadurch, dass ich mir wünsche, mehr Menschen würden versuchen zu verstehen, warum ich in einer offenen Beziehung bin, habe ich eine Sache gelernt: Ich werde immer, egal, wie abwegig sie mir erscheint, versuchen jede Art einer Beziehung nachvollziehen zu können.

Und genau das ist der Punkt: Ich finde nicht, dass Menschen in einer offenen Beziehung zwingend in die Polyamorie rutschen, aber ich glaube schon, dass sie ihr offener begegnen.