Okay, mal ehrlich: Wer würde nicht gerne mit 40 oder gar 35 Jahren in Pension gehen? Eine Bewegung namens Frugalismus lockt seit einigen Jahren mit diesem Versprechen. Das große Ziel? Finanzielle Freiheit! Doch wie soll das überhaupt gehen?

Wir haben nachgeforscht.

Frugalismus: Was steckt hinter dem Finanztrend?

Wie heißt es so schön: „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not.“ Klar, wir alle wissen, wie vernünftig es wäre, im Alltag zu sparen und sich regelmäßig etwas beiseitezulegen. Immerhin haben unsere Großeltern das schon immer gesagt. In der Praxis leben aber viele (inklusive uns) eher nach dem Motto „Geld ist zum Ausgeben da“! Wie sollen wir uns denn sonst für all die Mühe, die wir in unsere Jobs stecken, belohnen? Frugalisten haben da einen Vorschlag: Ihre Belohnung sieht in etwa so aus, dass sie mit circa 40 in Pension gehen und das machen können, worauf sie Lust haben! Klingt auch nicht übel, oder?

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Frugal … häää, was?! Gleich vorweg: Frugalismus ist nicht nur ein Finanztrend, sondern ­vielmehr eine Lebensphilosophie. Aber dazu kommen wir noch. Starten wir mit den Basics: Was steckt dahinter? Das Wort Frugalismus leitet sich vom Wort „frugal“ ab, das so viel bedeutet wie „genügsam, sparsam“. In den USA entstand diese Lebensweise schon in den 90er-Jahren; Anhänger nennen das Konzept dort „FIRE“ – für „Financial Independence, Retire Early“, also finanzielle Unabhängigkeit, um früh in Pension zu gehen.

Die Idee ist prompt erklärt: Man spart bis zu 70 Prozent seines Einkommens und legt das Geld an, sodass es sich von selbst vermehrt. Dies tut man so lange, bis genug Geld zusammen­gekommen ist und man nicht mehr auf regel­mäßige Einkünfte angewiesen ist. Doch wie gehen Frugalisten dabei vor?

Sparen mit Konzept

Der wichtigste Schritt in die finanzielle Unabhängigkeit besteht darin, herauszufinden, wie viel Geld zum Leben wirklich benötigt wird. Und dann ist da natürlich noch der Zeitpunkt, an dem die finanzielle Unabhängigkeit beginnen soll. Aus diesen beiden Parametern wird dann berechnet, wie hoch der zu sparende Anteil des Einkommens sein muss, um das Ziel zu erreichen. Hierfür gibt es online zum Beispiel Frugalismus-Rechner. Es lohnt sich, dort einmal verschiedene Zeiträume und Sparquoten auszuprobieren. Als Nächstes stellt sich nun die Frage, wie es möglich ist, die Hälfte oder sogar noch mehr des Einkommens zu sparen.

Dazu gibt es zwei Optionen: Einkommen erhöhen (beispielsweise durch berufliche Weiterbildung) oder Ausgaben senken. Die zweite Variante ist vermutlich der schnellere und einfachere Weg, denn mit dem Reduzieren der Ausgaben kann man theoretisch jederzeit beginnen (Tipps dazu findet ihr auf der nächsten Seite).

Richtig investieren

Doch Sparen allein ist beim Frugalismus ja nur die halbe Miete. Sämtliches eingespartes Geld sowie zusätzliche Einkünfte aus Verkäufen oder einer Gehaltserhöhung werden dann angelegt. Aber wie? Nicht alle von uns sind Investment­genies! Das Thema Anlageplanung ist äußerst komplex und stark von der persönlichen Situation abhängig. Angehende Frugalisten sollten sich daher unbedingt gründlich einlesen und sich überlegen, was am besten zu ihnen passt.

Zwei Fragen sind dabei aber essenziell: Was ist mein Anlageziel? Und: Wie risikotolerant bin ich? An diesen beiden Fragen kommt ein Frugalist nicht vorbei. Der Rest ist dann im Grunde fast nur noch Detailarbeit. Aber fest steht: Umso früher man damit loslegt, desto besser! Denn wer sein Geld länger investiert (egal, ob in Aktien, Immobilien, Kryptowährungen, ein eigenes Unternehmen etc.), profitiert von höheren Erträgen und erreicht somit schon früher die finanzielle Unabhängigkeit.

Weniger Geld ≠ weniger Spaß

Prinzipiell kann man zusammenfassen, dass Frugalisten nicht reich werden möchten, sondern aus dem „Hamsterrad“ ausbrechen wollen. Sie hinterfragen das System, nach dem die Mehrheit der Gesellschaft lebt. Dadurch können sie oft ein viel zufriedeneres, selbstbestimmtes und von einem Brotjob unabhängiges Leben führen. Dennoch ist der Trend natürlich nicht für alle geeignet. Ein oft genutztes Argument ist, dass das viele Sparen und das Leben für die Zukunft sehr trist sein können. Was soll all das Streben nach finanzieller Freiheit, wenn wir einen Unfall haben oder sogar sterben, bevor wir das Geld ausgeben können? Für Frugalisten bedeutet der Lifestyle aber nicht, dass sie auf jeden Spaß verzichten.

Sie fragen sich, was ihnen wirklich Freude bereitet, und hinterfragen Routinen, die vielleicht gar keinen Sinn ergeben. Ein bewussterer Umgang mit unserem Konsumverhalten würde vermutlich vielen von uns nicht schaden. Und hey, nicht zu vergessen: Nicht alles, was Spaß macht, kostet Geld. Oder wie Frank Sinatra und auch Janet Jackson schon erkannten: „The Best Things In Life Are Free.“

Better late than never? Ein Frugalist im Interview

Aber ergibt es Sinn, sich auch noch später für den frugalen Life­style zu entscheiden? Wir ­haben beim Wiener Blogger Ray Arya-­Caspersen nachgefragt. Auf minimalray.com gibt der 39-jährige Wiener Blogger Einblick in sein Leben als Frugalist und zeigt, wie sich Reisen, Familie oder der Alltag mit diesem Life­style vereinbaren lassen.

Wie sieht deine berufliche Situation aus?

„Derzeit bin ich selbstständiger Grafiker, Inhaber einer Fotobox-Verleih-Firma, Blogger und Teilzeitbildtechniker bei einem Fernsehsender. Insgesamt bin ich tatsächlich weniger als 40 Stunden die Woche beschäftigt.“

Wie bist du überhaupt zum Frugalisten geworden?

„Ich habe zum ersten Mal vom Frugalismus erfahren, als ich mich 2018 – da war ich 35 – intensiv mit alternativen Lebensweisen beschäftigt habe. Ich erkannte, dass mein damaliger Lebensstil sehr ineffizient war, und suchte nach Veränderung. So stieß ich auf die Begriffe Minimalismus und Frugalismus und auf die Blogger The Minimalists und Mr. Money Mustache. Ihre Lebens­philosophien sprachen mich sofort an.“

Welche finanziellen Ziele hast du dir gesetzt?

„Ich habe mir als Ziel gesetzt, spätestens mit 50 finanziell unabhängig zu sein. Bis dahin möchte ich genug Kapital angespart und investiert haben, um für den Rest meines Lebens davon leben zu können. Da ich relativ spät vom frugalen Lebensstil erfahren habe, erreiche ich das erst später als jemand, der bereits mit 25 Jahren damit angefangen hat. Allerdings ist dann mein ‚Pensionseintritt‘ trotzdem 17 Jahre früher als wie üblich mit 67, und das nur, weil ich einfach bewusster lebe.“

Du bist vor Kurzem zum ersten Mal Papa geworden, gratuliere! Ändert sich dadurch etwas am Lifestyle?

Danke, wir sind sehr glücklich über unsere kleine Familie. An unserem Lebensstil hat sich nicht wirklich etwas geändert. Klar hat man plötzlich mehr Sachen in der Wohnung und gibt mehr Geld aus als zu zweit, aber wir achten darauf, unsere Ressourcen optimal zu nutzen. Viele Eltern werden dazu verleitet, sich mit anderen zu vergleichen, aber das haben wir ganz gut im Griff – und wir versuchen zugleich, Impulskäufe zu vermeiden.

Gibt es auch etwas, wo du gar nicht auf das Budget schaust?

„Nicht aufs Budget zu schauen, fällt mir schwer! Denn wenn man einmal das Mindset hat, dass man für alles, wofür man Geld ausgibt, hart gearbeitet hat – und somit seine Zeit eingetauscht hat –, ist man in puncto Ausgaben etwas sensibler. Dennoch gebe ich gern Geld für Sport, Reisen und qualitativ
hochwertige Lebensmittel aus.“

Du reist ja auch gerne um die Welt. Wie passt das mit einem frugalen Leben zusammen?

„Sehr gut sogar, denn der smarte Umgang mit Geld ermöglicht uns, mehr zu reisen, ohne uns beruflich zu überlasten. So wie vieles im Leben kann Reisen teuer sein, muss es aber nicht. Die schönsten Reiseerlebnisse hatten wir bisher als Rucksacktouristen auf unserer Weltreise und als wir mehrere Monate mit unserem selbst umgebauten Campingbus durch Europa getourt sind. Und weil wir das Budget immer im Blick hatten, mussten wir auch auf nichts verzichten, was uns wichtig war, denn so konnten wir besser planen. Diese Art von Reisen ist günstiger, aber trotzdem sehr schön und aufregend und hinterlässt meiner Meinung nach eindrucksvollere Erinnerungen.“