Die Bedingungen in den Flüchtlingslagern auf der griechischen Insel Lesbos machen Kinder krank, berichtet die Kinderpsychologin Katrin Glatz-Brubakk. Die Kleinen würden unter Panikattacken, Albträumen und schweren Depressionen leiden. Der Bedarf an psychologischer Betreuung sei enorm.

„Viele dieser Kinder geben die Hoffnung auf, dass sie je einen Tag ohne Angst erleben werden“, so Glatz-Brubakk, die Leiterin des psychologischen Programms von Ärzte ohne Grenzen auf Lesbos.

Achtjährige Kinder versuchen sich umzubringen

Diese Hoffnungslosigkeit führe laut Glatz-Brubakk dazu, „dass achtjährige Kinder versuchen sich umzubringen, weil sie es einfach unter diesen Bedingungen nicht mehr aushalten“. Und das seien Kinder, die vorher keine psychischen Probleme gehabt hätten, betonte Glatz-Brubakk im Telefon-Gespräch mit der Nachrichtenagentur APA. So hätten 90 Prozent der Kinder diese Probleme erst entwickelt, seit sie auf Lesbos seien. Besonders schlimm sei die Situation in dem provisorischen Camp auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Kara Tepe, das nach dem Brand in Europas bis dahin größtem Flüchtlingslager Moria errichtet wurde.

Der Bedarf an psychologischer Betreuung sei so groß, dass nicht alle Kinder mit Bedarf betreut werden könnten. Es gebe eine lange Warteliste. Hinzu kommen die Beschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie. Die Kinder hätten derzeit überhaupt nichts zu tun. Noch vor dem Lockdown hätten ein paar Organisationen zumindest einige wenige Aktivitäten wie etwa Sprachunterricht angeboten. Doch das ist nun nicht mehr möglich. Die Kinder dürften das Lager zudem seit über zwei Monaten nicht verlassen. Außerhalb des eigenen Zelts gebe es auch keine Räumlichkeiten, in die man sich zurückziehen oder in denen man sich aufwärmen könne. Die Zelte sind häufig aufgrund von Regenfällen überflutet.

Traumata in den Flüchtlingslagern weiter verstärkt

Für jene Kinder, die bereits vor ihrer Ankunft in Griechenland traumatisiert worden seien, würden die Traumata durch die vorherrschenden Bedingungen zusätzlich verstärkt. „Ein traumatisiertes Kind braucht Stabilität, Routine und ein Gefühl der Geborgenheit und all das gibt es nicht im Lager. Sie wissen nicht, wie der morgige Tag aussehen wird, sie haben keinen Unterricht und fühlen sich durchgehend unsicher“, erklärt die Psychologin. Zudem gebe es Konflikte im Lager. Die Kinder würden außerdem merken, dass sich die Eltern Sorgen machen. „Aber auch bei Kindern, die keine Traumaerfahrung haben, sehen wir, dass sie durch diese Bedingungen erkranken“, so Glatz-Brubakk.

Auch seien viele Kinder wegen des Brands, der im September das Lager Moria zerstörte, zusätzlich traumatisiert. Viele Kinder würden schlafwandeln, weil sie damals wegen des Feuers geweckt wurden und weglaufen musste, so Glatz-Brubakk. „Weil manche Kinder so oft im Schlaf ins nahegelegene Wasser gelaufen sind, haben manche Eltern angefangen, sie in der Nacht am Handgelenk festzubinden“, so die Kinderpsychologin.

SOS Kinderdorf „besser als gar nichts“

Momentan ist eine von der österreichischen Regierung finanzierte Tagesbetreuungsstätte des SOS-Kinderdorfs geplant. Dieses Vorhaben sei natürlich zu begrüßen, wenn es eine Kinderbetreuungsstätte mit qualifiziertem Personal geben würde, so Glatz-Brubakk. „Aber egal, was wir hier machen, solange die Bedingungen so sind, wie sind, ist das ein bisschen wie ein Pflaster auf eine Brandwunde zu setzen, während sie noch im Feuer sitzen müssen, aber natürlich ist es besser als gar nichts“, erklärt die Psychologin.

Zu Weihnachten hatte die griechische Regierung grünes Licht für die Errichtung der Kinderbetreuungsstätte in den Flüchtlingslagern gegeben. Laut SOS-Kinderdorf laufen die Gespräche über einen konkreten Starttermin derzeit „sehr intensiv“. Anfang der Woche erteilten die griechischen Behörden dann auch die Genehmigung für den Zugang der SOS-Kinderdorf-Experten in das Camp.