Kein anderes Opfer einer Straftat wird mit so viel Zweifel, Argwohn und Schuldigkeit bestraft, wie ein Vergewaltigungsopfer„, so beginnt der 179-Seiten starke Urteilsspruch gegen den Studenten Mustafa Ururyar, der seine Studienkollegin Mandi Gray zu Oralsex gezwungen hat und sie anschließend vergewaltigt hat. Der Richter Marvin Zuker findet Worte für Situationen, die den Mythos einer „klassischen Vergewaltigung“ töten. Endlich. 

Es gibt kein „ideales Vergewaltigungsopfer“

Der Fall hat sich am Campus der York-University in Toronto ereignet und sorgte in Kanada für viel Aufsehen: Denn er war das Paradebeispiel für Victim-Shaming, also für die Verurteilung des Opfers, weil es sich auf den Täter eingelassen hat. Ein klassicher Fall, in dem sich das Opfer eben nicht so verhalten hat, wie man sich das bei einem „typisches Vergewaltigungsopfer“ eben vorstellt: Die beiden haben sich vorher regelmäßig getroffen, Gray hat bei jenem Treffen, als es zu dem Vorfall kam, Alkohol konsumiert, zuvor hat sie ihm in einer SMS geschrieben, dass sie sich Sex mit ihm wünscht. Dass sie noch mit zu ihm gegangen ist, obwohl er sie beim Treffen als „Schlampe“ bezeichnet hat. Das alles verkompliziert eine Verhandlung – denn ob es wirklich eine Vergewaltigung war, hängt davon ab, was das Opfer sagt. Tatsächliche Beweise sind schwer zu liefern. 

„Ich hätte das nicht tun sollen“

Am Ende des Abends hatte Ururyar Gray abserviert. Und Gray „getröstet“ – nach eigenen Aussagen. Getröstet hat er sie so, dass er sie zum Sex überredet hat, in dem er gemeint hat, sie solle sich an ihre Textnachricht erinnern und ihr „Versprechen“ einhalten. Gray ging erst zwei Tage nach dem Vorfall zur Polizei – auch das erschwert die Beweislage. Ururyar hat ihr ein paar Tage nach der Tat eine SMS geschickt, in der er sich dafür entschuldigte, dass „die Dinge so passiert sind“ und dass er „das nicht tun hätte sollen“: „Ich war sauer und habe mich von dir geschädigt gefühlt, aber das entschuldigt natürlich nicht mein Verhalten“. 

„Es passiert zu oft, dass eine Vergewaltigung als Akt der Leidenschaft umdefiniert wird!“

Der Richter nahm Ururyar nichts davon ab. Seiner Meinung nach sei ein „ideales Vergewaltigungsopfer ein totes“ und es gäbe kein demografisches Profil eines Täters. Es sei reines Victim-Shaming, die Fehler beim Opfer zu suchen. „Der einzige, der schuldig ist, ist derjenige, der die Verletzlichkeit und das Vertrauen eines Menschen ausnützt, um sich sexuell an ihm zu bereichern„, so der Richter. „Vergewaltigung ist ein Gewaltakt, ein Akt der Aggression, um Kontrolle und Macht über jemanden zu bekommen. Erzwungene geschlechtliche Handlungen sind das Instrument dazu. Es passiert nur zu oft, dass Vergewaltigung zu Sex umdefiniert wird. Dass Vergewaltigung mit einem Akt der Leidenschaft verwechselt wird. Es macht keinen Unterschied, ob das Opfer getrunken hat, ob es alleine unterwegs war, sexuell freizügig, ob es sich mit dem Täter auf ein Date eingelassen hat oder wie das Opfer angezogen war. Keiner verlangt danach, vergewaltigt zu werden.“

via GIPHY

Quelle:

Nylon