Es war ein medizinisches Rätsel, das in einer grausamen Erkenntnis endete. Denn als kerngesunde Babys in einem Krankenhaus im britischen Chester verstarben, standen die Mediziner:innen vor vielen Unklarheiten. Doch hinter den mysteriösen Toden verbarg sich eine grausame Straftat.

Die Babys verstarben durch unterschiedliche Injektionen.

Mysteriöse Todesfälle in britischem Krankenhaus

Es soll der längste Mordprozess in der Geschichte des Vereinigten Königreichs sein, der in diesen Tagen ein Ende findet. Auf der Anklagebank saß in den vergangenen zehn Monaten die Krankenschwester Lucy L. Der Vorwurf: Mord an mehreren Babys in einem Krankenhaus im britischen Chester. Denn als die Krankenschwester in der Neugeborenenstation arbeitete, stellten Mitarbeiter:innen mysteriöse Todesfälle fest.

Babys, die eigentlich kerngesund zur Welt kamen, verstarben plötzlich. Das Krankenhaus verzeichnet einen drastischen Anstieg an Todesfällen ab 2015; und das, obwohl die Versorgung der Babys auf dem Papier genau so ist, wie sie sein soll. Ein medizinisches Rätsel, dem sich kurz darauf die Polizei widmet.

„Nach der Suche nach einer Ursache, die sie nicht finden konnten, stellten die Berater fest, dass die unerklärlichen Zusammenbrüche und Todesfälle einen gemeinsamen Nenner hatten“, sagte der Staatsanwalt zu Beginn des Prozesses. „Die Anwesenheit einer der neonatologischen Krankenschwestern“. Gemeint ist die 33-jährige Lucy. Wie sich bei den darauffolgenden Untersuchungen durch die Polizei herausstellte, soll sie hinter den mysteriösen Todesfällen stecken.

Babys wurden mit Insulin, Milch und Luftinjektionen getötet

Denn die Krankenschwester vergiftete laut den Ermittlungen zahlreiche Babys. Und zwar unter anderem mithilfe von Insulin. Dieses soll die Krankenschwester verwendet haben, um zwei Babys zu vergiften. Bei anderen wurde zu viel Milch über die Ernährungssonde verabreicht. Wieder andere bekamen Luft in den Blutkreislauf injiziert, was zu einer Luftembolie führte. Eines der Babys, das Luft injiziert bekam, war laut Medienberichten nur 24 Stunden alt. „Manchmal gelang es ihr, ein Baby zu töten, das sie beim ersten Mal nicht töten konnte, oder sogar beim zweiten Mal, und in einem Fall sogar beim dritten Mal“, erklärt Staatsanwalt Nick Johnson.

Eben für diese zahlreichen Fälle musste Lucy jetzt vor Gericht. Und im Laufe des Prozesses wurden erschreckende Details klar. So enthüllte die Staatsanwaltschaft etwa Post-It-Notizen von Lucy, auf denen sie die Tat scheinbar gesteht. Auf den Zetteln, die in dem Haus der Krankenschwester waren, schrieb sie etwa, dass sie „böse“ sei und die Babys „absichtlich tötet“. Lucy sei eine „schreckliche, böse Person“, steht auf den Notizen. Doch andere Zettel beteuern gleichzeitig ihre Unschuld. Denn auf einer Notiz ist zu lesen: „Ich habe nichts Falsches getan und sie haben keine Beweise, warum musste ich mich also verstecken?“

Doch im Laufe des Prozesses legte die Staatsanwaltschaft einige Beweise vor. Insgesamt 22 Anklagepunkte wurden dadurch in den vergangenen Monaten besprochen. Das Urteil: Die Krankenschwester wurde von den Geschworenen für schuldig befunden, sieben Babys auf der Neugeborenenstation ermordet zu haben. Zusätzlich befanden sie die Geschworenen in sechs Fällen des versuchten Mordes für schuldig. In zwei Fällen des versuchten Mordes lautete das Urteil der Geschworenen nicht schuldig.

„Wir werden vielleicht nie wirklich erfahren, warum dies geschehen ist“

Für Pascale Jones von der Staatsanwaltschaft zeigen Lucys Taten einen „vollständigen Verrat an dem in sie gesetzten Vertrauen“. Denn ihr zufolge habe Lucy „ihr Möglichstes“ getan, „um ihre Verbrechen zu verbergen, indem sie die Art und Weise, in der sie die ihr anvertrauten Babys wiederholt verletzte, variierte“, so Jones. „Immer wieder verletzte sie Babys in einer Umgebung, die für sie und ihre Familien sicher hätte sein müssen. Die Eltern waren ihrer krankhaften Neugier und ihrem vorgetäuschten Mitgefühl ausgesetzt. Zu viele von ihnen kehrten nach Hause zurück und fanden leere Babyzimmer vor. Viele überlebende Kinder leben mit den dauerhaften Folgen ihrer Übergriffe auf ihr Leben.“

Jones habe nach dem Prozess einen großen Wunsch. Denn auch, wenn die Familien der Opfer „vielleicht nie einen Schlussstrich ziehen können“, haben sie durch den Prozess jetzt hoffentlich „Antworten auf Fragen, die sie jahrelang beunruhigt haben.“ Doch nicht alle Fragen konnten geklärt werden. Denn ein Motiv, warum Lucy die Babs tötete, gibt es bis heute nicht. „Wir werden vielleicht nie wirklich erfahren, warum dies geschehen ist“, betont auch Janet Moore, die Familienbeauftragte der Polizei von Cheshire gegenüber „BBC“.

Wie genau Lucys Bestrafung aussehen wird, ist derzeit noch unklar. Denn ihre Verurteilung wird am Montag, 21. August 2023 verkündet. Die Staatsanwaltschaft prüft außerdem noch, ob sie jene sechs Fälle des versuchten Mordes, in denen die Geschworenen zu keinem Urteil kamen, noch einmal aufrollen.