Es lässt sich längst nicht mehr leugnen: Die Anzahl der Menschen, die an Burnout leiden, steigt immer weiter. Warum es sich dabei um alles andere als eine Trendkrankheit handelt und was Selbstoptimierung damit zu tun hat?

Wir haben mit Betroffenen und einem Experten gesprochen.

Burnout: Es kann jeden treffen!

Männer in schwarzen Anzügen, hektische Bürogebäude und Frühpension mit Anfang 50 – so oder so ähnlich sah das Bild rund um Burnout vor nicht allzu langer Zeit aus. Mittlerweile hat sich im Bereich dieser psychischen Erkrankung einiges getan, denn fest steht: Es kann jede:n treffen. Deshalb haben uns Betroffene und ein Psychiater dabei geholfen, das gesamte Ausmaß dieser Erkrankung auf den Punkt zu bringen. Außerdem räumen sie mit zahlreichen Vorurteilen auf, die rund um Burnout bestehen.

Oft merkt man den Beginn der Krankheit nicht

Meistens sieht es ja so aus: Nach einem fordernden Arbeitstag kreisen unsere Gedanken um E-Mails, bevorstehende Meetings und unerledigte To-dos. Und ehe wir uns versehen, versuchen wir selbst in unserer freien Zeit, „nur ein kleines bisserl“ zu arbeiten, um unsere Liste an Work-Tasks so schnell wie möglich zu minimieren. Das Problem dabei: One-on-one-Time mit dem Partner oder der Partnerin muss dafür genauso herhalten wie etwa Sporteinheiten, die eigentlich für einen freien Kopf sorgen sollten, oder die Zeit, die wir im Bett relaxen oder kurz vor dem Einschlafen.

Das heißt jetzt natürlich noch lange nicht, dass wir dadurch sofort unter einem Burnout leiden müssen und ab sofort am besten gar nichts mehr tun. Dennoch heißt es hier Obacht! Denn die genannten Umstände können locker dazu führen, dass wir geradewegs auf die Krankheit zusteuern und es anfangs noch gar nicht merken. Und das wollen wir um jeden Preis vermeiden!

Drei Phasen des Ausgebranntseins

Um überhaupt zu verstehen, wovon wir hier sprechen: Wusstet ihr, dass aktuell etwa 43 Prozent der erwerbstätigen Menschen in Österreich an Burnout leiden? Oder, dass sich die Erkrankung nicht an dem einen großen Burnout-Symptom festmachen lässt? Stattdessen ist die Krankheit in drei Stadien unterteilt, die allesamt durch Erschöpfungszustände, Entfremdungserlebnisse sowie Abnahme der Leistungsfähigkeit geprägt sind. Daher auch die wortwörtliche Übersetzung: „Ausgebranntsein“.

Wie uns Dr. Michael Musalek, Psychiater an der Sigmund Freud Privatuniversität in Wien, erklärt, handelt es sich bei Stufe eins um „psychische Überforderung, die sich vor allem auch in einer erhöhten Reizbarkeit äußert“. Die wenigsten wissen, dass sie hier bereits unter einem Burnout leiden. Sie nehmen häufig Arbeit mit nach Hause und schränken so ihre Freizeit – und Regenerationszeiten drastisch ein.

Bei Stufe zwei gesellen sich Unruhe-, Spannungs- sowie Angstzustände dazu. „Man wird dünnhäutiger und körperliche Symptome wie Bluthochdruck, erhöhte Herzfrequenz sowie Schlafstörungen erscheinen“. Wenn man hier nicht einschreitet, folgt Stufe drei, die ausgeprägte Krankheitsform des Burnouts, von der laut Musalek aktuell etwa acht Prozent betroffen sind. Typische Merkmale: psychische und körperliche Erscheinungen, die auf „-losigkeit“ enden, wie etwa Lustlosigkeit, Antriebslosigkeit, Schlaflosigkeit sowie Freudlosigkeit.

Ist Burnout eine Millenial-Krankheit?

Was sollen wir also tun, wenn wir befürchten, ins Burnout zu schlittern, wie man so schön sagt? „Wichtig ist, dass man sich bewusst macht, dass es so etwas wie Burnout gibt“, erklärt Musalek. Zudem sollte man darauf achten, sich in stressigen Phasen immer wieder ausreichend Regenerationszeit zu gönnen. Auch viel Bewegung, bei der man sich allerdings nicht anstrengt, ist hilfreich. Im dritten Stadium hilft laut dem Psychiater nur noch eine Behandlung. Die Chancen auf eine vollständige Heilung sind dabei jedoch ausgezeichnet. Ein beruhigender Fakt, wenn man bedenkt, dass Burnout laut einer Studie deutlich häufiger in jüngeren Altersklassen auftritt.

Menschen zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr sind sehr stark von der Krankheit betroffen. Auch interessant: Frauen haben aufgrund der Mehrfachbelastung mit Kindern, Familie und Job noch mal öfter mit Burnout zu kämpfen als Männer. Dabei sprechen wir allerdings vor allem von den besagten acht Prozent, die unter dem dritten Stadium, also dem ausgeprägten Krankheitsbild, leiden.

Die amerikanische Journalistin Anne Helen Petersen hat sich ebenfalls mit dem Thema beschäftigt, als sie ihr Essay „How Millennials Became The Burnout Generation“ 2019 auf Buzzfeed veröffentlichte. Damit trat sie eine regelrechte Bewegung los. Unzählige Millennials auf der ganzen Welt fühlten sich von ihrem Text abgeholt und setzen sich plötzlich mit ihrer psychischen Gesundheit auseinander. Die Folge: ein lauter Aufschrei mit der Forderung, dass die Work-Life-Balance das sein sollte, was sie buchstäblich beschreibt: ausgeglichen!

Experte Musalek dazu: „Wir haben aktuell eine gesellschaftliche Veränderung, die die Burnout-Zahlen hochtreibt, denn unsere Leistungsgesellschaft hat sich in eine reine Erfolgsgesellschaft entwickelt. Während es in einer Leistungsgesellschaft darum geht, wirklich die Leistung der Menschen zu entlohnen, spielt diese in einer Erfolgsgesellschaft eigentlich keine Rolle. Die Hauptsache ist, man ist erfolgreich. Und wenn man nicht erfolgreich ist, dann kann man noch so viel leisten, aber es wird einem trotzdem nicht hoch angerechnet“, so der Psychiater.

Keine Trend-Krankheit

Statt der langersehnten Anpassung der Arbeit war die Konsequenz für Millennials jedoch eine andere. Denn sie werden oft mit Augenrollen bestraft, sobald sie das Thema Burnout nur anschneiden. Das sei doch bloß eine Trendkrankheit, an der gerade jede:r zu leiden glaubt, der oder die ein paar unbezahlte Überstunden macht – so die Meinung von vielen. Ganz so stimmt das allerdings nicht. Dr. Musalek erklärt: „Ohne viel zu arbeiten kann man kein Burnout bekommen, aber das ist in der Regel nicht ausreichend. Es ist nicht nämlich nicht so, dass jeder, der viel arbeitet, automatisch ein Burnout bekommt. Vielmehr treiben einen andere Faktoren ins Burnout. Etwa schlechtes Arbeitsklima, das Fehlen von positiven Rewards, unfaire Behandlung – oder wenn das eigene Wertsystem mit jenem am Arbeitsplatz nicht übereinstimmt.“

So erging es auch den beiden Betroffenen, mit denen wir gesprochen haben. Leni Bolt, Work-Life-Expertin und Influencerin, erzählt uns: „Ein stressiger Chef war sicherlich einer der Hauptauslöser für mein Burnout. Er war oft ungeduldig, fordernd und hatte unrealistische Erwartungen an meine Arbeitsleistung.“ Doch sich eingestehen, dass sie möglicherweise an Burnout leidet, konnte Leni lange nicht. „Es war ein schleichender Prozess, der sich langsam verstärkte, bis ich schließlich nicht mehr ignorieren konnte, dass etwas nicht stimmte. Ich litt unter körperlicher und emotionaler Erschöpfung, habe mich von sozialen Aktivitäten zurückgezogen und hatte allgemein ein Gefühl der Unzufriedenheit. Ein bisschen wie eine riesige graue Wolke!“.

Die Stigmatisierung des Burnouts

Auch Autorin Verena Titze erlitt aufgrund eines toxischen Arbeitsplatzes ein heftiges Burnout. „Ich konnte mich nicht mehr um mich selbst kümmern, musste bei meiner Mutter wohnen. Habe kaum geschlafen oder gegessen. Und ich hatte extreme Konzentrationsprobleme, habe teilweise hyperventiliert, sehr viel geweint. Das Leben, wie man es kennt, ist zu dem Zeitpunkt vorbei“, erzählt sie uns. Bis Verena akzeptieren konnte, dass sie an einer der wohl stigmatisiertesten Krankheiten litt, dauerte es eine ganze Weile.

„Sehr lange wollte ich nicht wahrhaben, dass ich ein Burnout habe, und wollte auch dringend zurück in die Arbeit. Ich habe mir immer wieder gedacht: ‚Na ja, dann halt nächste Woche, da geht’s mir bestimmt besser!‘ Im Endeffekt bin ich nie wieder in meine alte Arbeit zurückgekehrt“, verrät uns Verena. Doch (Selbst-)Akzeptanz erleben leider nicht alle Burnout-Erkrankten – oft reagiert das Umfeld nach besagter Diagnose nicht ganz so verständnisvoll. „Ich habe mich damals sehr für mein ‚Versagen‘ geschämt und hätte mir mehr Verständnis gewünscht“, so Verena. Auch Leni Bolt hat Ähnliches erlebt. „Es gab das Vorurteil, dass Burnout einfach eine ‚Trendkrankheit‘ sei, oder dass es eine Schwäche oder mangelnde Belastbarkeit meinerseits zeige. Solche Reaktionen waren entmutigend und führten dazu, dass ich mich manchmal schuldig oder beschämt fühlte, dass ich mich nicht einfach ‚zusammenreißen‘ konnte“.

Hustle-Mode und Selbstoptimierung

Was die Sache nicht gerade besser macht: Neben dem Hustle-Mode (wir wollen schneller, besser, stärker sein), in dem wir uns nahezu nonstop befinden, haben mit Sicherheit auch Social Media einen großen Einfluss darauf, wie wir unsere Work-Life-Balance gestalten. Wir wollen schöne Urlaube machen und uns tolle Dinge leisten können und setzen uns selbst unter Druck, indem wir zusätzlich auf sämtliche Selbstoptimierungstrends aufspringen, die dazu beitragen, dass wir uns neben der Arbeit auch mal „etwas Gutes tun wollen“.

Dass damit aber insgeheim mehr Stress entsteht, vergessen wir aufgrund der permanenten Reizüberflutung oft, die uns mittels Instagram, Tiktok und Co entgegenspringt. Zu verlockend sind all die Dinge, die wir haben könnten, wenn wir nur genug arbeiten. Umso frustrierender, wenn man seine Ziele nicht nur nicht erreicht, sondern dadurch auch im Dauerstress ist! Dazu kommt, dass der Teufelskreis zwischen dauernden Selbstoptimierungsbemühungen und optimaler, über das Ziel hinausgehender Arbeitsleistung zu einem vollkommenen Zusammenbruch des vegetativen Nervensystems führen kann.

„Es gibt eine sehr enge Assoziation zwischen Arbeitssucht und Burnout“, wie uns Dr. Musalek erklärt. „Das heißt: Menschen, die sehr leistungsfähig sind und gerne arbeiten, die viel Arbeit sehr gut vertragen, müssen sich vor Burnout besonders in Acht nehmen.“ Denn wir ignorieren gerne mal sämtliche Warnsignale unseres Körpers und sind meistens nicht mal im Urlaub unstoppable, wenn es beispielsweise um die Vorbereitung für neue Strategien geht.

Der Weg zur Heilung

Hier nun der Lichtblick: Wie wir bereits wissen, ist Burnout sehr gut behandelbar. Dementsprechend kann es auch zu einer vollständigen Heilung kommen. Damit gemeint ist eine symptomfreie Zeit, in der sich Körper und Geist erholt haben. Dieser Punkt spielt dabei eine wichtige Rolle: „Der Vertrauensverlust während des Burnouts ist eigentlich das Entscheidende“, so Dr. Musalek. Während des Heilungsprozesses muss man also darauf achten, das Vertrauen in sich selbst wiederzufinden. „Das ist dann passiert, wenn man wieder den Eindruck hat, dass man etwas schaffen kann“, so der Psychiater.

Auch Leni und Verena zählen zu jenen Menschen, die die Krankheit überwunden und neues Vertrauen aufgebaut haben. Was beide noch gemeinsam haben: Sie geben ihre Erfahrungen mit der heimtückischen Krankheit an andere weiter. Leni mittels Workshops und Verena mit ihrem Buch, („Burnt.Out“) und dem gleichnamigen Podcast, den sie gemeinsam mit Dr. Musalek macht sowie einem Bühnenprogramm.

Doch ist es nicht kontraproduktiv, sich fast tagtäglich mit Burnout-Betroffenen zu beschäftigen – Stichwort Rückfall? „Wenn man das Burnout überwunden und für sich eine Lebensform gefunden hat, die so weit stabil ist, dass ein weiteres Burnout nicht mehr stattfinden kann, ist es durchaus sinnvoll, das Wissen, das man dadurch aktiviert hat, an andere weiterzugeben“, so Dr. Musalek. Auch Leni stimmt zu. „Ich habe das Bedürfnis, diesen Menschen zu helfen, da ich ja Ähnliches erlebt habe.“ Und mit der öffentlichen Entstigmatisierung der Krankheit kann zudem jede:r dazu beitragen, dass die Zahl der Betroffenen künftig hoffentlich sinken wird.

In ihrem gemeinsamen Podcast „Musalek & Titze – Im Rausch des Lebenes“ sprechen sychiater Dr. Michael Musalek und Autorin Verena Titze unter anderem über die persönliche Geschichte von Verena, über Burnout, Alkoholismus, Sucht, wie wir Leere kompensieren, über Scham und Stigma, gesellschaftlich akzeptierte Drogen, Ursachen für die Sucht nach Rausch (in allen Facetten) und über Tools, die einem im täglichen Leben helfen können, alles etwas leichter zu gestalten.

Übrigens: Am 3. Mai findet eine Live Podcast Show von „Musalek & Titze“ in der Kulisse Wien statt. Alle Infos und Tickets gibt’s hier.