Unsere Gesellschaft hat es immer noch nicht geschafft, weibliche Nippel nicht zu sexualisieren. Deshalb ist ein BH etwas, auf das nicht verzichtet werden sollte, auch, wenn er für viele unangenehm ist. Als ich selbst noch einen trug, habe ich lediglich versucht gesellschaftlichen Ansprüchen und Normen gerecht zu werden. Nicht, weil ich ihn gebraucht habe. Aber seit ich aufgehört habe, es zu tun, bin ich mir selbst gerecht geworden. 

Ich habe endlich verstanden, dass weiblich sein nicht bedeutet, das zu tun, was das Patriarchat von mir verlangt. Sondern das daraus zu machen, was ich selbst möchte. Auch, wenn ich an eigener Haut erfahren musste, wie es sein kann, beobachtet zu werden. Einfach nur, weil man keinen BH trägt.

Wer keinen BH trägt, ist komisch

Als Frau wird dir schon früh suggeriert, wie du dich zu verhalten hast. Egal, worum es geht. Das fängt bei Reaktionen auf Annäherungsversuche an und hört bei Richtlinien, wie du dich zu kleiden hast, auf. Auch, wenn es um Unterwäsche geht, scheint jeder eine Meinung darüber zu haben. Vor allem, wenn junge Frauen in dem Alter sind, wo der erste BH eine Überlegung wert ist. Und, wenn das erste Mädchen im näheren Umfeld einen BH trägt, dann musst du das auch. Denn wer keinen BH trägt, ist komisch. Aber auch ungepflegt und alles, was man nicht sein möchte.

Hier wird es schnell klar, dass weibliche Körper nicht nur sexualisiert werden, sondern auch immer schon etwas waren, wofür wir uns schämen müssen. Vor allem in jungen Jahren sind alle Entwicklungen, denen wir ausgesetzt sind, unsere Schuld. Wenn wir ein breiteres Becken bekommen, sind wir dick. Wenn wir unsere Tage bekommen, sind wir ekelhaft. Und wenn unsere Brüste wachsen, sind wir plötzlich ein sexuelles Wesen, das sich verurteilen lassen muss, wenn es sich dazu entscheidet, nicht der Norm zu entsprechen und auf einen BH verzichtet. Im Endeffekt ist es schwierig als junge, heranwachsende Frau etwas zu tun, das richtig ist.

BH: einengend, unpraktisch und nervend

Es ist mittlerweile drei Jahre her, als ich das letzte Mal einen BH getragen habe. Und ich habe selten eine so gute Entscheidung getroffen. Damit sage ich nicht, dass das alle Frauen tun sollen. Jeder soll das tun, was er möchte und was sich richtig anfühlt. Ich weiß, dass es Frauen gibt, die so große Brüste haben, dass es gesundheitlich kaum möglich ist, keinen zu tragen, ohne Schmerzen zu haben. Ich meine lediglich, dass es für mich nicht notwendig gewesen ist, einen BH zu tragen. Eine Zeit lang habe ich es nur getan, weil es alle gemacht haben und ich gedacht habe, dass ich es deshalb auch tun muss.

Anfangs war es schwierig, ich habe mich geschämt und immer versucht meine langen Haare vorne zu tragen. Um zu verdecken, dass ich keinen BH trage. Ich habe gedacht, dass man es sonst sehen kann und Leute mich nicht nur für meine kleine Oberweite verurteilen, sondern auch deswegen, weil ich keinen BH trage. Ich kannte zu diesem Zeitpunkt niemanden, der keinen trug, also hatte ich keinerlei Personen, die verstanden, wie komisch ich mir vorkam. Für mich waren meine Brüste das erste, was Menschen von mir beurteilen würden.

Aber je mehr Zeit verging, desto selbstbewusster wurde ich. Irgendwann schaffte ich es, meine Haare hinten zu tragen. Auch wurden aus langen, lockeren Shirts endlich wieder enge, anliegende Kleidungsstücke, die ich gerne trug. Und ich fühlte mich endlich befreit. Von gesellschaftlichen Zwängen, aber auch von denen, die zuvor der BH an meinem Körper verübt hatte. Und je wohler ich mich fühlte, desto weniger dachte ich darüber nach, dass ich keinen BH trug. Für mich war es eine Sache geworden, die selbstverständlich ist. Somit passte ich meine Auswahl an Kleidung nicht mehr dem an, ob man vielleicht etwas zu viel sehen konnte. Aus dunkler Kleidung wurden enge, weiße Shirts. Shirts, die gezeigt haben, was ich darunter trage: nichts. Ab diesen Moment habe ich gemerkt, dass weibliche Nippel stark sexualisiert werden und Männer sie als Einladung sehen, sich frei darüber zu äußern. 

Warum werden Frauenkörper sexualisiert, aber gleichzeitig tabuisiert?

Seither passiert es mir fast jedes Mal, wenn ich weiße Kleidung trage, dass ich darauf angesprochen werde. Oder, dass ich mitbekomme, wie über mich geredet wird. Das können übergriffige Bemerkungen von betrunkenen Männern sein, wenn ich abends ausgehe. Oder tagsüber, wenn eine Gruppierung von Menschen sich dazu entscheidet mich zu werten. Aber auch Frauen, die über mich sprechen, wenn sie denken, dass ich sie nicht hören kann, und mir zu meinem Mut gratulieren. Dass ich Mut habe, mich so auf die Straße zu trauen, obwohl ich keinerlei recht habe. Immerhin habe ich keine perfekten, großen Brüste.

Es ist mir egal, wie darüber geredet wird. Es ist mir aber nicht egal, dass es immer passieren muss. Dass ich immer bewertet werde, nur, weil ich keinen BH trage. Das ist keine Einladung, dass Menschen, die mich nicht kennen, mir ihre Meinung darüber aufhalsen. Ich finde es schon unangenehm genug, wenn ich die Blicke sehen muss. Und ich kann einfach nicht einsehen, dass ich auf ein „Hey, ist dir etwa kalt? ;)“ lustig reagieren soll, wenn ich am liebsten schreiend darauf antworten möchte.

Frauenkörper werden sexualisiert, aber auch tabuisiert. Während weibliche Nippel gerne gesehen werden und für manche Menschen als Einladung dienen, jemanden übergriffig anzusprechen, werden sie auf Instagram zensiert. Somit wird Frauen suggeriert, dass sie nicht gesehen werden dürfen, aber falls doch, dann ist es eh sexy. Warum ist es immer noch nicht möglich als Frau das zu tragen, was man möchte, ohne, dass es von unzähligen Personen kommentiert wird? Sollte das Ziel nicht das sein, dass sich jeder wohlfühlt mit dem, was er trägt? Wir sollten allen Frauen endlich zeigen, dass sie machen und tragen können, was sie wollen. Und wir sollten sie dadurch unterstützen, indem wir sie anschließend nicht deshalb werten, beurteilen, sexualisieren oder objektivieren.