Wir Frauen bekommen recht oft zu Ohren, dass wir uns doch nicht so aufregen sollen. Ob das schon je geholfen hat? Noch nie. Aber warum ist Wut seit der Frühgeschichte bis heute ein männliches Privileg? Wir haben es satt!

Medusa ist schon seit der Antike das sexualisierte Symbol weiblicher Wut und ein zeitloser Mythos. Warum? Weil wütend sein bis heute fast nur dem Mann vorbehalten ist. Aber was hat eine vermeintliche Furie aus der griechischen Mythologie mit den Frauen von heute gemein? Und: Warum sollen wir Wut überhaupt zurückhalten? Oder sollen wir das am Ende eh nicht?

Was hat Medusa mit weiblicher Wut zu tun?

Medusa wird seit Jahrhunderten dazu benutzt, mächtige Frauen zu kritisieren. Das Schlangenhaar wurde zu einem Symbol, mit dem die Gesellschaft versucht, weibliche Autorität und Wut zu dämonisieren. Dabei kennen wir den Mythos der schlangenköpfigen Dame gar nicht so genau, oder? Laut Ovids Metamorphosen hat sich der Meeresgott Poseidon in Medusa verschaut und sich folglich natürlich die göttliche Freiheit genommen, mit ihr zu schlafen. (Ob sie da freiwillig mitgemacht hat, sei dahingestellt.) Die Göttin Athene bekam mit, was passiert ist – worauf sie Medusa in das Monster verwandelt hat, das wir heute noch kennen: Ihrem mit Schlangenhaar, böse funkelnden Augen und gefährlichen Reißzähnen versehenen Anblick konnte kein Mann standhalten – der erstarrte nämlich zu Stein, wenn ihn Medusas Blick traf. Der Beginn der Story wurde im Lauf der Geschichte natürlich öfter mal weggelassen.

Was von Medusa geblieben ist? Ein Mythos, der unglaublich viel Interpretationsraum lässt: Sie ist gleichzeitig Symbol weiblicher Wut und das sexualisierte Überbleibsel einer Frau, die das furchteinflößende Potenzial hat, das andere Geschlecht zu entmannen. Aber: Was tut diese Sage eigentlich zur Sache? Wie kann das heute noch relevant sein? Nun ja: Alle Kulturen bauen auf Mythen wie diesem auf. Sie prägen unser Bild von Kultur und Gesellschaft, dementsprechend auch unser Denken und unser Verhalten. Es ist ganz offensichtlich, dass Wut immer noch keine Emotion ist, die frau einfach bedenkenlos zeigen kann, wenn man in der Menschheitsgeschichte weitergeht. Diese Tatsache zieht sich wie ein roter Faden von der Antike bis in die Neuzeit.

Sind wir alle „nasty women“?

Medusa war leider nicht die letzte Frau, die aufgrund ihrer Wut verteufelt wurde. (Auch, wenn sie nicht einmal absichtlich zornig war, immerhin stand sie unter einem Fluch.) Wenn man sich das aktuelle Weltgeschehen genauer anschaut, dann fällt schnell auf: Männer dürfen tendenziell eher grantig sein, egal, in welcher Position sie sind. Frauen hingegen sollten es sich nicht leisten, die Fassung zu verlieren, vor allem nicht in der Öffentlichkeit oder im Beruf. (Obwohl sie, ganz nebenbei gesagt, viel mehr Gründe dafür hätten, genau das zu tun.)

Hillary Clinton durfte sich etwa im US-Wahlkampf von Donald Trump als „nasty woman“ betiteln lassen und hat sich Vorwürfe wie „zu emotional für den Präsidentenjob“ anhören können. Aber hat es einen Donald Trump daran gehindert, Präsident zu werden, obgleich er sich bei fast jeder Rede im Wahlkampf in Rage geredet hat? Serena Williams zerschmettert ihren Tennisschläger und legt sich mit dem Schiedsrichter an – und wird daraufhin als hysterisch und völlig unprofessionell abgestempelt. Was wären die Reaktionen gewesen, wenn nicht Serena Williams am Spielfeld gestanden wäre, sondern Roger Federer? Aber nicht nur Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, haben mit solchen Reaktionen zu kämpfen.

Lässt uns Wut unprofessionell wirken?

Monika, die schon jahrelang in der IT-Branche tätig ist, kennt die Konsequenzen unversteckter Wut. Die Accountmanagerin würde sich selbst zwar nicht als grantige Person bezeichnen, aber durchaus als Frau, die sich eben nichts gefallen lässt. Sie weiß, wie mit zornigen Frauen umgegangen wird: „Ich habe sehr lange für einen Konzern gearbeitet, wo als Reaktion sehr oft sexistische Aussagen gekommen sind. Wut wird einfach nicht anerkannt bei Frauen.“ Monika und ihre direkte Art sind kein Einzelfall, denn: Klar gibt es viele Frauen, die ihren Grant durchaus mal zeigen. Aber die Reaktionen darauf sind meist gleich. Selten wird einer Frau das gleiche Recht zum Wüten zugeschrieben wie einem Mann.

Außerdem lässt uns das Gefühl unprofessioneller wirken. Im Rahmen einer Studie der Yale und der Northwestern University wurde 2008 festgestellt, dass emotionale Frauen im Job als weniger professionell angesehen werden, unabhängig von ihrer Position. Bei Männern hingegen ist ein gelegentlicher Wutausbruch okay. Eine jüngere Studie, die 2015 im Fachjournal Law and Human Behavior erschienen ist, belegt, dass Wut Frauen inkompetent, hysterisch und irrational wirken lässt. Männer scheinen dadurch jedoch kompetenter und haben so möglicherweise auch größeren Einfluss auf wichtige Entscheidungen als Frauen.

Warum das so ist?

Das lässt sich so ganz pauschal nicht beantworten, aber höchstwahrscheinlich fallen die meisten subjektiven Wertungen so aus, weil fast jedes Individuum von unterbewussten sexistischen Denkmustern geprägt ist. Aufgrund unserer stereotypen Vorstellung von Rollenbildern glauben wir, dass Wut bei Frauen von innen und bei Männern von außen getriggert wird. Sprich: Frauen sind immer selbst verantwortlich für ihren Zorn, bei Männern hingegen denken wir, die Aufgebrachtheit wird von ihrer Umwelt provoziert. Dass unsere Gesellschaft in solche Leitvorstellungen verfällt, scheint einem schnell logisch, wenn man einen Blick in die Geschichte wirft: Die wurde nicht nur hauptsächlich von Männern geschrieben, dort wurde ihnen auch immer mehr Seriosität zugeschrieben als Frauen.
Die großen Machthaber, die Entscheidungs- und Verantwortungsträger unserer Welt waren und sind nun mal (fast) immer männlich (leider). Sie haben gelernt, sich durchzusetzen – auch mit Zorn. Frauen kamen mit solchen Strategien eher weniger weit, oft wurden sie ihnen zum Verhängnis. Um ein paar historische Beispiele zu nennen: Jeanne d’Arc, Olympe de Gouges, Maria Stuart oder Mata Hari – allesamt widerständige und (vermutlich) wütende Frauen, die hingerichtet wurden. Und weil sie mit der „männlichen“ Strategie kaum Erfolge verzeichnen konnten, haben Frauen andere Methoden entwickelt, um sich mit einzubringen.

Müssen wir immer brav bitte sagen?

Wir haben gelernt, immer penibelst höflich zu sein, damit ja keine Glaubwürdigkeit verloren geht. Wir haben verinnerlicht, viel Wert auf unser professionelles und freundliches Auftreten zu legen, um in unseren Anliegen voranzukommen. Oder gibt es erzürnte Frauenbanden, die Betriebsvorsitzenden und Politikern auf der Straße nachlaufen, um gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit einzufordern? Nein, wir bitten darum. Wir fordern unsere Rechte verständnisvoll ein. Bleiben wir beim Beispiel des Gender-Pay-Gap: Seit Jahrzehnten versuchen Frauen, die Einkommenskluft zwischen den Geschlechtern zu bekämpfen. Wobei „höflich einzufordern“ wohl die passendere Wortwahl wäre. 2018 waren es in Österreich aber immer noch 20 Prozent, die Frauen im Durchschnitt weniger verdienen als Männer – 20 Prozent zu viel. Ist brav Bitte sagen also die effektivste Art, voranzukommen?

Oder müssen wir einfach wütender sein?

Nein, müssen wir nicht. Wir sind nämlich schon verdammt wütend. Seit Anbeginn der Zeit haben wir gelernt, unsere Wut ja nicht überkochen zu lassen. Denn: Frauen, die das zulassen, haben keine Chance mehr, irgendwie voranzukommen – unabhängig davon, wie gut ihre Argumentation auch ist. Einfach wütender zu sein verschafft wütenden Frauen keine gesellschaftliche Anerkennung. Wir wollen nicht, dass aufgebrachte Frauenmobs mit Mistgabeln auf die Straße gehen. Wir wollen aber auch nicht still sitzen bleiben und jede Ungerechtigkeit weiterhin einfach so lächelnd hinnehmen. Denn weder so noch so kann eine Veränderung erzielt werden.
Was wir wollen, ist, dass, wenn eine Tennisspielerin aus Zorn ihren Schläger ruiniert, der Medienaufschrei ausbleibt. Dass Spitzenpolitikerinnen nicht als zu emotional abgetan werden, wenn sie im Parlament über ein Thema sprechen, das ihnen auf der Zunge brennt. Und dass sich keine Frau mehr anhören muss, wie ihr Zorn auf sexuelle Unzufriedenheit zurück geführt wird, wenn sie einfach mal einen schlechten Tag hat.

Gendernormen Ade

Wir wissen jetzt: Genauso wie Männer nicht weinen dürfen, dürfen Frauen nicht wütend sein. (Dürfen wir natürlich, aber in einigen Gehirnen herrscht noch immer die Annahme, dass es so sein sollte.) So wurde es den meisten von uns eingetrichtert – teilweise auch heute noch. Wieso? Weil Geschlechterstereotype und struktureller Sexismus noch immer in unserer Gesellschaft fest- hängen wie die Klette am Wollpulli. Frauen, die den Mund aufmachen, gelten gleich mal als „hysterisch“. Schlussfolgerungen wie diese gilt es zu bekämpfen. Nicht, indem wir uns blind von unserer Wut leiten lassen, aber möglicherweise, indem wir einen gepflegten Umgang mit unserer Aufgebrachtheit hegen. Ja, das ist zwar anstrengend, aber Grant ist wichtig. Denn dann, wenn wir unzufrieden und grantig sind und das auch klar erkenntlich machen – dann ist Wut wie ein Funke, der etwas bewirken kann. Vielleicht sogar das Aufbrechen gängiger Gendernormen.