Einmal pro Woche sitze ich bei meinem Therapeuten auf der Couch. So unaufgeregt sich das anhören mag, ich habe lange ein Geheimnis daraus gemacht. Niemand außer meiner Schwester wusste davon. Bis ich mich eines Tages bewusst dazu entschlossen habe, das zu ändern. Aus einem einfachen Grund. Ich will endlich befreit sein. Ein Leben in Freiheit führen, etwas, das für andere das Normalste auf der Welt ist. Ich hingegen fühle mich, wie wenn ich in einem Käfig sitzen würde, den ich mir selbst gebaut habe. Eingesperrt, aber immer mit der Sicht nach draußen. Dieses „Draußen“ stelle ich mir dann beruhigend und gleichzeitig aufregend vor, wunderschön und voller Gefühle. Ich halte mich aber quasi selber gefangen. Aber ich will raus. Ich habe den Schlüssel des Käfigs in greifbarer Nähe, doch bin wie gelähmt, ihn in die Hand zu nehmen und mich selbst zu befreien. Ich sitze fest und verzweifle. Diese Metapher verwende ich gern, wenn ich versuche, anderen zu erklären, wie es in mir drin aussieht. Ich verwende sie als Platzhalter für einen Zustand, den ich selbst nicht genau definieren kann. Ich verwende sie als Antwort auf gut gemeinte Ratschläge und Fragen, wieso ich nicht „einfach dieses oder jenes“ tun und denken kann, damit es mir besser geht. Mein Problem ist für andere nicht sichtbar – das war es selbst für mich lange nicht. Ich hab es ewig weggeschoben und mich selbst belogen. Bis irgendwann der Punkt erreicht habe, an dem ich beschlossen habe, dass damit Schluss sein muss. Und das war er, der erste Schritt in Richtung Freiheit.

Ich habe also jahrelang damit gehadert, eine Therapie zu beginnen. Genau genommen mein halbes Leben. Aber als ich eingesehen habe, dass ich den Weg raus aus meinem Loch nicht alleine finde, habe ich meine erste Stunde ausgemacht. Oder besser gesagt: Von meiner Schwester ausmachen lassen, denn die Hemmschwelle war trotz Einsicht zu groß. Das Gefühl vor der ersten Stunde war fast unerträglich. So unerträglich, dass ich mein Schweigen gebrochen habe und mich meiner besten Freundin anvertraut habe. Und sie hat mehr als positiv reagiert. Sich gefreut, dass ich mich zu diesem Schritt entschieden hatte und mir Mut gemacht. Und dennoch war die Scham die ersten Wochen und Monate enorm. Erst nach und nach habe ich eingesehen, dass ein offener Umgang mit dem Thema Therapie mich stärker macht, und nicht schwächer. Was dazu notwendig war: Zu verstehen, dass über mein Innerstes zu sprechen und an mir zu arbeiten, keine Schwäche sondern eine Stärke ist. „Andere gehen zum Yoga, Sie kommen hierher, damit es Ihnen bald besser geht, und das ist gut so“, höre ich meinen Therapeuten sagen. Ich habe dann meinen Eltern davon erzählt und ein paar Freundinnen. Ich habe begonnen, nicht mehr von meinem Termin zu sprechen, sondern von meiner Therapiesitzung. Ich habe aufgehört zu sagen, ich habe einen „Arzttermin“, wenn jemand an meiner fixierten wöchentlichen Therapie-Zeit etwas unternehmen wollte. Stattdessen sage ich die Wahrheit – und habe bislang nur positive Erfahrungen damit gemacht. Das ist natürlich eine sehr individuelle Entscheidung, die mich nach wie vor Überwindung kostet. Doch ich habe gemerkt: Wenn ich offen bin, fällt es auch anderen leichter, sich (mir) zu öffnen, was das Thema betrifft. Niemand tut sich leicht damit, doch es tut unendlich gut, sich auszutauschen, auch wenn die Gründe für Therapie so unterschiedlich sein können. Und dennoch bedeutet all das für mich riesen Schritte in die Freiheit. Den Schlüssel dafür halte ich schon in der Hand.