Hi, ich bin ein Hashtag, ein Doppelkreuz mit Markierung. Bist du unter 40 Jahre alt, muss ich mich vermutlich nicht weiter vorstellen. Ich wohne auf Social Media und helfe dabei, Inhalte zu bestimmten Themen zu sammeln und auffindbar zu machen.

Ihr Menschen verwendet mich für viele Dinge. Manchmal ironisch und ohne jeglichen Nutzen, manchmal, um vielleicht mehr Online-Freunde anzulocken und ab und zu auch, um eine wichtige Botschaft in die Welt zu bringen.

Die Geschichte eines Hashtags

Geboren bin ich 2007 auf dem Mikroblogging-Dienst Twitter, und zwar, weil der Rechtsanwalt und Internet-Aktivist Chris Messina seinen Followern vorschlug, mich als Zeichen zu nutzen, um Themengruppen auf der Plattform zu kennzeichnen. Schon bald wurde ich zum Schlagwort, das den Usern eine Vorstellung des Inhalts geben sollte, der unter mir gepostet wurde. So werde ich nun etwa von Unternehmen und Influencern für Marketing-Zwecke verwendet.

Viel wichtiger ist aber meine Bedeutung für politische Proteste und Bewegungen. So kämpfe ich etwa als #fridaysforfuture seit 2019 gegen die globale Umweltpolitik. Als #JeSuisCharlie half ich 2015 den Menschen, sich mit den Opfern des Attentats auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo zu solidarisieren. Gleichzeitig konnten sie dank mir eine Diskussion zu wichtigen Themen wie Pressefreiheit und Islamismus starten. Dies wirkte sich übrigens auch auf die Offline-Welt, in der ich eigentlich nicht existiere, aus. Viele Menschen versammelten sich und organisierten Solidaritätskundgebungen.

Mein Beitrag zur Frauenbewegung

Zwei Jahre später ging ich dann unter die Feministinnen. Frauen auf der ganzen Welt konnten unter mir ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung und Gewalt teilen. Ich trug als #metoo dazu bei, die Gleichberechtigungsdebatte weiter anzuheizen. Und das nicht nur in den USA, wo die Bewegung entstand, sondern auch in zahlreichen anderen Ländern wie Indien, Pakistan, Großbritannien, Deutschland, Österreich, Frankreich, Israel und und und. Millionen Frauen erzählten auf Twitter, Instagram und Facebook ihre Geschichten – oft zum ersten Mal. Doch mit dem Erfolg kam auch die Kritik. Die Bewegung würde die Verantwortung zur Veröffentlichung von sexuellem Missbrauch auf die Opfer abladen. Manche sagen sogar, dass #metoo eine produktive und intensive Kommunikation des Themas verhindere, weil die Menschen durch die Bewegung genervt und ermüdet seien.

Eine Studie aus dem Jahr 2019 gab an, dass 20 bis 25 Prozent der Männer seit der #metoo-Debatte Situationen im Berufsleben vermeiden würden, in denen sie mit Frauen alleine sind. Bereits 2018 beschrieb man in diesem Kontext erstmals den sogenannten „Pence-Effekt“. US-Vizepräsident Mike Pence hatte damals erklärt, er vermeide es inzwischen, alleine mit einer anderen Frau als seiner Ehefrau essen zu gehen. Viele Führungskräfte gaben an, ähnlich zu fühlen. Grund sei die Angst davor, mit weiblichen, insbesondere jungen oder attraktiven Kolleginnen alleine zu sein. Man befürchte Gerüchte oder sogar Haftung. Doch, was die Kritiker nicht leugnen können: Meine Mitwirkung, Vergewaltigungs- und Belästigungsopfern ein Sprachrohr zu bieten hatte direkte und positive Auswirkungen auf das reale Leben. So führte #metoo etwa zu einer neuen Richtlinie zur Verhinderung von sexueller Belästigung an Filmsets und auch zur Verhaftung des Filmemachers Harvey Weinstein.

Mein Kampf gegen Polizeigewalt und Rassismus

Mein aktuellstes Alias ist aber #BlackLivesMatter. Dabei schlüpfe ich schon seit 2013 in diese Rolle. Auslöser war damals der Freispruch von George Zimmerman nach dem Todesfall des afroamerikanischen Teenagers Trayvon Martin. Am 26. Februar 2012 erschoss der 28-jährige Nachbarschaftswachmann George Zimmerman den 17-jährigen afroamerikanischen Highschool-Schüler Trayvon Martin. Zuvor hatte Zimmerman beobachtet, wie Martin auf dem Weg von einem Supermarkt zum Haus der Freundin seines Vaters ging.

Der 28-Jährige rief die Polizei und erklärte: „Dieser Kerl sieht so aus, als ob er nichts Gutes im Schilde führt. Der ist auf Drogen oder so.“ Danach gab Zimmermann bekannt, dass der Teenager zu laufen begonnen habe und er ihn verfolge. Obwohl die Polizei ihn darauf hinwies, dass er das nicht machen müsse, kam es später zu einem Handgemenge, in dem Zimmerman den Afroamerikaner erschoss. Zur Zeit der Verfolgung hatte Trayvon Martin mit seiner Freundin telefoniert und sich beschwert, dass ihn ein bedrohlich wirkender Mann verfolgte. Zimmerman wurde des Mordes mit bedingtem Vorsatz angeklagt. Der Angeklagte begründete sein Handeln mit Notwehr. Am 13. Juli 2013 sprach ihn eine sechsköpfige Jury frei.

Es war nicht der erste und schon gar nicht der letzte Fall von Gewalt gegen Afroamerikanern in den USA. 2014 führte der Tod von Michael Brown durch die Hand eines Polizisten zu Unruhen in Ferguson, Missouri. Im selben Jahr töteten Polizisten Eric Garner bei einer brutalen Festnahme. Immer wieder begleitete ich als #BlackLivesMatter die Aufregung und die Proteste der Menschen.

Doch noch nie waren sie so groß und weitreichend wie 2020. Anfang des Jahres empörten gleich mehrere Gewalttaten gegen Afroamerikaner Welt online wie auch offline. Ahmaud Arbery, ein schwarzer unbewaffneter Jogger wurde von Travis McMichael und seinem Vater Gregory verfolgt und schließlich erschossen. Es dauerte über zwei Monate, bis es Festnahmen in dem Fall gab. Denn die Ermittlungen kamen erst richtig in Gang, als der Fall durch ein verstörendes Handyvideo des Mordes breite Aufmerksamkeit erlangte. Am 13. März hatten Polizisten die 26-jährige Rettungssanitäterin Breonna Taylor in ihrer Wohnung erschossen. Laut dem Anwalt der Familie suchte die Polizei an der falschen Adresse nach einem Verdächtigen.

#BlackOutTuesday als weltweite Welle der Solidarität

Am 25. Mai starb der Afroamerikaner George Floyd, nachdem der weiße Polizist Derek Michael Chauvin bei einer Festnahme acht Minuten und 46 Sekunden auf seinem Genick gekniet war. Es war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte und so strömten die Menschen in den USA auf die Straßen. Seit Wochen protestieren sie nun gegen Polizeigewalt und Rassismus. Noch nie hatte ich in meinem Job als #BlackLivesMatter so viel zu tun. Teilweise wurden die Inhalte unter mir auf Instagram sogar blockiert. Grund war der Anti-Spam-Filter der Plattform. Er springt an, wenn zu viele Menschen eine bestimmte Phrase verwenden. Die neue Welle der „Black Lives Matter“-Bewegung schwappte auch auf andere Länder über. Dank Social Media wird Information so schnell wie noch nie zuvor in die ganze Welt getragen. Institutioneller Rassismus ist kein Phänomen, das sich nur auf die USA begrenzt.

Am Dienstag, dem 2. Juni, bekam ich im Zuge meines Amtes als „Black Lives Matter“-Hashtag noch einen kleinen Nebenjob. Ich wurde zum #BlackOutTuesday. Unzählige Menschen weltweit posteten schwarze Quader auf ihren Social Media-Profilen. Die Idee kam ursprünglich aus der Musikindustrie. Die beiden Afroamerikanerinnen Jamila Thomas und Brianna Agyemang wollten dadurch die Musikunternehmen, die großteils von der Arbeit, den Erfolgen und den Mühen schwarzer Menschen profitieren würden, zur Rechenschaft ziehen. Die Aktion hatte eigentlich Konzerne der Musikindustrie dazu aufgefordert, ihre Arbeit für einen Tag niederzulegen und sich so solidarisch mit der afroamerikanischen Community zu zeigen. Schnell schwappte der Hashtag auch auf Einzelpersonen über.

Der Gedanke war ein schwarzes Quadrat zu posten und dann den restlichen Tag von Social Media fernzubleiben. Vor allem weiße Personen wurden dazu aufgefordert, die Zeit zu nutzen, um sich über die Geschichte des strukturellen Rassismus und die Situation der Schwarzen zu informieren. Doch der Tag zeigte auch, dass Arbeitsteilung nicht immer funktioniert: Viele der User, die die schwarzen Quadrate auch unter dem Hashtag #BlackLivesMatter posteten überschatteten so die Bilder der „Black Lives Matter“-Bewegung.

Vom Netz auf die Straßen

Dennoch zeigte der #BlackOutTuesday, wie viele Menschen sich mit dem Thema Rassismus solidarisierten. Zahlreiche Feeds waren an diesem Tag komplett schwarz. Und wieder brachte der Austausch online die Menschen dazu, offline auf die Straße zu gehen. In Österreich versammelten sich am 4. Juni 50.000 Menschen vor dem Omofuma-Denkmal am Platz der Menschenrechte in Wien, um gegen Rassismus zu demonstrieren. Marcus Omofuma war ein Asylwerber aus Nigeria, der während einer Flugzeug-Abschiebung aus Österreich nach Bulgarien von drei Polizisten in fahrlässiger Weise getötet wurde.

Kritik am Hashtag-Aktivismus auf Social Media

Meine Karriere als politischer Aktivist ist gezeichnet von Erfolgen und Misserfolgen. Böse Zungen beschuldigen mich etwa des „Slacktivismus“. Ein Like, ein Tweet: Viel mehr als schnelle Finger brauche es nicht für meine Form des politischen und sozialen Engagements. Ich würde dazu verleiten, dass sich die Menschen als Weltverbesserer bezeichnen, weil sie sich vom Sofa aus im Netz einer Bewegung anschließen, ohne viel zu leisten.

Wie eben jede Form von Protest hatten auch die meinen Mal mehr und Mal weniger Erfolg. Würde es die weltweite Diskussion über Feminismus und sexuelle Belästigung ohne #metoo aber heute überhaupt so geben? Und wer würde sich gerade Bücher über Rassismus kaufen oder Dokus über die Geschichte der Afroamerikaner ansehen, wenn es auf Social Media nicht gerade unzählige Empfehlungen dazu geben würde? Als Hashtag habe ich nur eine limitierte Macht, immerhin existiere ich nicht in der realen Welt. Aber ich kann wichtige Themen in das Bewusstsein unzähliger Menschen rufen. Den Rest müsst ihr machen, liebe Menschen!