Seit Anfang August gibt es einen neuen Twitter-Trend. Unter #dichterdran schreiben Autorinnen so über ihre männlichen Kollegen, wie Kritiker sonst nur über Frauen schreiben. Der Hashtag soll den Sexismus in der Literaturkritik aufzeigen. Ein Tweet einer Journalistin war ausschlaggebend für die Aktion. 

Nadia Brügger regte sich auf dem Mikroblogging-Dienst über eine Rezension der Schweizer Zeitung „Tages-Anzeiger“ auf. Der Verfasser des Artikels schrieb darin über das Buch einer jungen Schriftstellerin, befasste sich aber vorwiegend mit dem Aussehen der Autorin.

Ein aufgeschrecktes Reh mit sinnlichen Lippen

Eigentlich hätte sich der Journalist vor allem mit dem Debütroman „Gespräche mit Freunden“ der Irin Sally Rooney beschäftigen sollen. Viel wichtiger schien ihm aber das Aussehen der Schriftstellerin, besonders auf einem Foto im amerikanischen Magazin „The New Yorker“. Der Journalist beschrieb Rooney darauf als „aufgeschrecktes Reh mit sinnlichen Lippen“. Die Schweizer Journalistin Nadia Brügger regte das so auf, dass sie ihren Unmut auf Twitter öffentlich machte. Schnell wurde klar, dass derartige Kritiken über Autorinnen alltäglich sind.

#dichterdran: Frauen schreiben Kritiken über männliche Autoren

Gemeinsam mit der Journalistin und Autorin Simone Meier und der Regisseurin und Autorin Güzin Kar startete Brügger daraufhin den Hashtag #dichterdran. Unter diesem posteten sie Kritiken über männliche Autoren im Stil, wie man sonst nur über Frauen in der Branche schreibt. In kurzer Zeit machten auch andere Twitter-User mit und der Hashtag ging schnell viral. Die Aktion zeigt, dass auch Sarkasmus und Humor gute Methoden sind, sich gegen Sexismus zu wehren. Viele der Tweets sind wirklich lustig und sehr lesenswert. Egal ob Thomas Mann oder James Joyce: Kein namhafter Schriftsteller bleibt bei der Aktion verschont.

Sexismus in der Literaturbranche

Es ist bekannt, dass Schauspielerinnen und Sängerinnen von den Medien oft auf ihr Äußeres reduziert werden. Dass Schriftstellerinnen mit den gleichen Problemen kämpfen müssen, zeigt, wie selbstverständlich es in unserer Gesellschaft ist, Frauen und Männer nach unterschiedlichen Kriterien zu bewerten. Es scheint absurd und ironisch, wenn man bekannte männliche Schriftsteller im Hinblick auf ihr Aussehen oder ihr Privatleben kritisiert. Thomas Mann beispielsweise als Hausmann, der nur nebenbei Bücher verfasst, zu beschreiben, bringt einen zum Schmunzeln. Umgekehrt meinen viele Journalisten es aber ernst, wenn sie in Kritiken auf diese Weise über Autorinnen schreiben. Der witzige Twitter-Trend hat also durchaus einen wichtigen Hintergrund. Ob Journalisten in Zukunft nach gleichen Maßstäben bewerten, wird sich zeigen. Bis dahin, gibt es hier noch eine Auswahl der besten #dichterdran-Tweets: