Ich hätte nie gedacht, einmal behaupten zu können, einen BH getragen zu haben. Doch um meine Arbeitskolleginnen bei ihren persönlichen Problemen besser zu verstehen, wagte ich den Schritt und trug eine Woche lang einen dieser sogenannten Büstenhalter.

Das Ganze begann auf einer Firmenfeier. Meine Kolleginnen unterhielten sich gerade angeregt über die Probleme mit ihren BHs. Sätze wie „Das Erste, das ich tue, wenn ich heimkomme, ist es meinen BH auszuziehen“ oder „Ich finde keinen BH, der so richtig gut sitzt.“ fanden bei den anderen sofort Zustimmung.

Nur ich konnte nicht wirklich mitreden. Und das löste in mir ein unwohles Gefühl aus. Ich wollte genauso nachvollziehen können, was meine Kolleginnen so bedrückte. So beschloss ich nicht länger herumzusitzen und ein neues Experiment zu starten. Eine Kollegin borgte mir ihre alten BHs. Somit konnte der Selbstversuch starten.

Ich erinnere mich noch sehr gut an den Moment, als ich meinen BH zum ersten Mal anzog. Im Büro waren natürlich sofort alle Augen auf mich gerichtet. Einen Mann, der einen BH trägt, sieht man ja schließlich nicht jeden Tag. Meine Kolleginnen halfen mir beim Anziehen. Als sie jedoch den Verschluss schließen wollten und den BH dafür ein wenig enger zogen, bekam ich plötzlich Schnappatmung. Ich verspürte ein Gefühl der Enge und des Unwohlseins. Auf einmal war da nämlich etwas vor meiner Brust, das vorher nicht existierte.

Ich griff mir ständig an meine Brust

Ich merkte schnell, wie mein Körper unbewusst auf die Veränderung reagierte. Zum Beispiel zog ich beim Gehen automatisch meinen Bauch ein und saß in der Arbeit viel aufrechter als sonst am Schreibtisch. Zudem griff ich mir jeden Tag gefühlt einhundert mal an meine Brust. Es klingt sehr komisch, aber ich hatte das Gefühl, ich müsste Brüste haben, weil ich ja schließlich auch einen BH trug.

Die ersten Unannehmlichkeiten mit meinem neusten Accessoire hatte ich direkt am ersten Tag. Ständig musste ich mir nämlich die Träger hochziehen und alles zurechtrücken. Das war der erste Moment, bei dem ich tiefsten Respekt für alle Frauen in meinem Umfeld empfand. Ich meine, die müssen ja schließlich jeden Tag mit nervigen Situationen dieser Art umgehen.

Paranoia im Supermarkt

In den ersten paar Tagen kam ich grundsätzlich sehr gut mit dem BH klar. Über Nacht konnte ich allerdings nicht damit schlafen, weil es beim Schlafen schon sehr störte. Deshalb zog ich den BH immer gleich aus, sobald ich den ersten Schritt in meine Wohnung machte.

In der Öffentlichkeit war es mir anfangs noch sehr unangenehm den BH zu tragen. Deshalb wählte ich fast immer nur weite Kleidung während dieser Zeit und verzichtete größtenteils auf körperbetonte Klamotten. Zu Beginn hatte ich aber trotzdem das Gefühl von allen angestarrt zu werden. Ich weiß zum Beispiel noch, dass ich, als ich einmal im Supermarkt war, ganz schnell zur Kassa spurtete, damit ja keiner der anderen Kunden Verdacht schöpfte. In dem Moment kam ich mir auch gar nicht paranoid oder lächerlich vor. Im Nachhinein war es neunzig Prozent der Kunden vermutlich egal, ob ich einen BH trage oder nicht.

Langsam gewöhne ich mich daran

Da ich auch zweimal in der Woche Sport mache, kam im Zuge meines Experiments auch ein Sport-BH zum Einsatz. Ich dachte immer, dass diese Dinger sehr unangenehm sind, aber ich wurde überraschenderweise vom Gegenteil überzeugt. Er wirkte beim Sport sehr unterstützend für meinen Körper. Ich konnte mich damit nämlich sehr gut bewegen. Zudem merkte ich fast gar nicht, dass ich ihn überhaupt anhatte.

Die letzten Tage vergingen sehr schnell und ich gewöhnte mich langsam an das Gefühl, einen BH zu tragen. Das Erste, was ich morgens nach dem Aufstehen machte, war es, den BH anzuziehen. Es gehörte mit der Zeit schon zu meiner Alltagsroutine. Genauso war ich es gewöhnt, meinen BH direkt auszuziehen, sobald ich zu Hause war. Somit hatten sich mein Körper und Geist recht schnell an „das Neue“ gewöhnt. So kam es mir zumindest vor.

Es war ein Versuch wert

Nachdem ich sieben Tage lang einen BH getragen habe, werde ich definitiv nie wieder genervt die Augen verdrehen, wenn sich eine Frau bei mir über ihre Probleme mit BHs beschwert. Denn ich verstehe jetzt, was für „Qualen“ eine Frau teilweise damit erleiden muss. Deshalb: Respect Ladies! Ich könnte mir nie vorstellen, mein ganzes Leben lang in den Dingern herumzulaufen. Ich bin froh, das Ganze ausprobiert zu haben, aber auf der anderen Seite bin ich auch überglücklich, dass ich jetzt wieder ohne BH unterwegs sein kann.

Um ein paar Eindrücke von meinen Erfahrungen zu bekommen, könnt ihr euch hier mein Video-Tagebuch ansehen: