Mit der Stalker-Serie „Rentierbaby“ hat Netflix einmal mehr einen viralen Überraschungshit veröffentlicht. Denn die Serie über einen Comedian und seine Stalkerin beschäftigt derzeit viele.

Tatsächlich steckt hinter der Serie sogar eine wahre Geschichte.

„Rentierbaby“: Das steckt hinter dem Netflix-Hit

So niedlich der Name klingt, so heftig ist die Thematik, die die neue Netflix-Serie „Rentierbaby“ derzeit aufgreift. Denn in der Miniserie geht es um Donny; einen aufstrebenden Comedian, der in einem Pub arbeitet und dort die verzweifelte und einsame Martha kennenlernt. Aus Mitleid gibt er ihr ein Getränk aus; und startet damit einen Teufelskreis, in dem Martha der festen Überzeugung ist: Donny und sie sind füreinander bestimmt.

Schon in den ersten Sekunden der Serie stellt die Show klar: die Geschichte von Stalking, Angst und Unsicherheiten basiert auf einer wahren Geschichte. Und tatsächlich ist der Mann, den wir auf den Bildschirmen als Donny sehen, jener Mann, dem das alles widerfahren ist: Richard Gadd. Er ist nicht nur der Star der Show, sondern auch der Autor. In „Rentierbaby“ verarbeitet er eine Zeit seines Lebens, in der er selbst das Opfer einer Stalkerin wurde. Mehr als vier Jahre lang verfolgte ihn eine Frau, die ihn – wie in der Serie – „Rentierbaby“ nannte. Insgesamt wurde er von der älteren Frau – die er mit dem Pseudonym „Martha“ beschreibt – mit 41.071 E-Mails, 350 Stunden Sprachnachrichten, 744 Tweets, 46 Facebook-Nachrichten und 106 Seiten Briefen belästigt. Begonnen hat alles, als die Frau das Pub besuchte, in dem er arbeitete und er der Frau einen Tee spendierte.

Aus Theaterstück wird Netflix-Serie

Was zu Beginn noch als lustige Anekdote unter seinen Kollegen und Freunden gehandelt wurde, wurde bald absoluter ernst. „Sie begann, in mein Leben einzudringen, verfolgte mich, tauchte bei meinen Auftritten auf, wartete vor meinem Haus und schickte Tausende von Sprachnachrichten und E-Mails“, erinnert sich der Comedian im Gespräch mit der britischen „The Times“. Auch seine Familie und enge Vertraute wurden im Laufe der Zeit von der Frau gestalkt.

Wie auch in der Serie war dieses Stalking für ihn aber auch deshalb so belastend, weil es alte Wunden und Traumata von sexuellem Missbrauch seiner Vergangenheit wieder aufgewühlt hat. Eben diese Erfahrungen verarbeitete Richard Gadd später in einem Bühnenprogramm mit dem Titel „Baby Reindeer“. Damals hatte er schon zwei Jahre lang nichts mehr von Martha gehört und wollte die Thematik des Stalkens so ungeschönt und authentisch wie möglich zeigen.

In einem Statement gegenüber Netflix erinnert er sich, wie schwierig es damals war, das Programm auf die Beine zu stellen. Denn: „Es war eine chaotische, komplizierte Situation. Aber eine, die trotzdem erzählt werden musste“, so Gadd. Die Show veröffentlicht er beim Edinburgh Fringe Festival im Jahr 2019 – und feiert einen Erfolg! „Die Show war in jenem Monat ausverkauft, und am Ende musste ich zwei Shows pro Tag spielen, um die Nachfrage zu bewältigen“, so Gadd. „Alles, was ich je wollte, war, etwas Kompliziertes über den menschlichen Zustand einzufangen. Dass wir alle Fehler machen, dass kein Mensch jemals gut oder schlecht ist. Dass wir alle verlorene Seelen sind, die auf ihre eigene seltsame Weise nach Liebe suchen.“

„Rentierbaby“: „Es wäre falsch gewesen, sie als Monster darzustellen“

Schon damals war für den Comedian aber klar: Sein Theaterstück sollte nicht die gesamte Schuld auf Martha abwälzen. Denn er selbst gibt zu, in der Situation auch einige Fehler gemacht zu haben. In Interviews zum Bühnenprogramm spricht er etwa davon, dass er mit der älteren Frau geflirtet habe oder immer Ausreden genannt habe, warum die beiden kein Paar werden könnten. „Stalking und Belästigung sind eine Form der mental illness. Es wäre falsch gewesen, sie als Monster darzustellen, denn es geht ihr nicht gut, und das System hat sie im Stich gelassen“, betont Gadd schon 2019 in einem Interview mit „The Independent“.

Eben dieses Ziel, das Thema Stalking in all seinen Facetten darzustellen, konnte er in der Netflix-Serie jetzt noch einmal verwirklichen – und dabei wieder viel aus der Realität übernehmen. Laut dem „Time“-Magazin sind all die Mails, die wir in der Serie sehen, etwa echte Nachrichten, die Gadd von Martha bekommen hat. Doch diese große Chance kam für ihn auch mit ein bisschen Druck. Denn er betont: „Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich nicht genau dort bin, wo ich vor all den Jahren 2019 beim Edinburgh Fringe war. Das Schlimmste befürchtend. Betend für das Beste. In der Hoffnung, dass die Leute inmitten all der chaotischen, komplizierten, abgefuckten Themen, die „Rentierbaby“ aufwirft, sein schlagendes Herz bemerken werden.“ Und ein Blick auf die aktuellen Netflix-Charts scheint diese Hoffnung zu bestätigen. Denn derzeit gehört „Rentierbaby“ zu den Top 10 Serien des Streamers.