Vergewaltigungsdrogen – eine Sache, die man meistens eigentlich mit Frauen verbindet. Dass sie nicht ausschließlich Frauen verabreicht werden, weiß man spätestens dann, wenn es zu spät ist. Denn auch Männer werden Opfer von K.O. Tropfen. Wenn auch seltener, wachen sie dennoch auf und wissen nicht, was passiert ist. 

Auch ich habe bis vor kurzem ehrlich gesagt kaum einen Gedanken daran verschwendet, dass auch Männer unter Drogen gesetzt werden. Für mich war es immer so, dass in der Regel ein Mann eine Frau unter Vergewaltigungsdrogen setzt. Wenn ich so darüber nachdenke, dann verstehe ich mittlerweile wie naiv das gewesen ist. Immerhin bedeutet die Mehrheit nicht, dass es ausschließlich Frauen sind, denen so etwas passiert. Und klar ist, dass jeder Mensch, dem das widerfahren musste, ein Opfer eines Verbrechens geworden ist.

Seitdem ich zwei Männer getroffen habe, die mir erzählt haben was ihnen passiert ist, will ich ihre Geschichte teilen. Denn ich finde es ist wichtig zu erfahren, dass das auch Männern passieren kann und sie unter Drogen gesetzt werden können. Aber auch, wie mit ihnen in solch einer Situation umgegangen wird. Eine Sache, die schon für viele Frauen sehr schwierig ist, hat sich in diesem Fall auch für sie als unmöglich herausgestellt: Der Glaube der Mitmenschen, dass es nicht ihre Eigenverantwortung war. Dass nicht sie schuldig sind, weil sie zu viel getrunken haben, sondern dass es jemand anderer war, der absichtlich zwei junge Männer unter Drogen gesetzt hat.

Weil sie männlich sind, begegnete man ihnen mit mehr Misstrauen

Als ich beide zu einem Gespräch getroffen habe, habe ich von Anfang an gemerkt, wie schwierig es ihnen fällt, hier zu sein und darüber zu sprechen. Nicht, weil sie ihre Geschichte nicht teilen wollen, ganz im Gegenteil. Viel eher deswegen, weil die bisherigen Reaktionen darauf unsensibel waren. Fast verurteilend reagierte ihr Umfeld auf das, was passiert ist.

Beide hatten oft das Gefühl sie müssten sich rechtfertigen. Rechtfertigen für eine Sache, für die sie nichts können und die, wenn man ehrlich ist, ihr Leben negativ verändert hat. Für mich unvorstellbar. Wie kann es sein, dass wir in der heutigen Zeit immer noch so geschlechterspezifisch denken, dass wir selbst bei Straftaten zuerst ungläubig sind, anstatt Verständnis zu zeigen?

Was ist genau passiert?

An einem Abend entschieden sich die beiden jungen Männer auf eine Party zu gehen. Nichts außergewöhnliches, immerhin war Freitagabend. Sie trafen sich, tranken ein, zwei Bier und hatten Spaß. Die Veranstaltung war gut besucht und die Stimmung ausgelassen. Der Abend verging wie im Flug. Als die Party aus war, beschloss eine kleine Gruppe weiterzuziehen. Der Plan war es zu einem Bekannten zu fahren und dort weiterzufeiern. Aber so weit sollte es für die beiden Männer gar nicht erst kommen.

Das war das Letzte, woran sich beide aktiv erinnern können. Sie haben sich von der Gruppe vorübergehend verabschiedet, gingen los und dann: nichts. Max* meint, es ist so als hätte ihm jemand für ein paar Stunden alle Sinne genommen. Er kennt das Gefühl nicht, absolut nicht zu wissen, was passiert ist. Für beide herrschte in dieser Zeit ein enormer Ausnahmezustand. Die Frage, die sich beide bis heute stellen: Was ist passiert?

Als Max zu sich kam, war er in einer U-Bahn. Er saß – mittlerweile war es bereits sonnig – mit dem Kopf gegen die Scheibe gelehnt. Ihm war übel, ungut und er wusste nicht, wo er war. Er versuchte so gut es ging alle Puzzelteile zusammenzufügen, aber es funktionierte nicht. Als er auf die Uhr schaute, bemerkte er, dass seiner Erinnerung sechs Stunden fehlen.

Sebastian* wachte in einem Bezirk auf, in dem er davor noch nie gewesen war. Er saß am Bordstein einer gut befahrenen Straße und ihm fehlte jegliche Orientierung und Erinnerung. Genau wie Max auch, wusste er nicht, was passiert war. Wie ist er dort hingekommen, wann haben sich Max und seine Wege getrennt, waren sie noch auf der Feier, aber vor allem: warum geht es ihm so verdammt schlecht nach gerade mal ein paar Bier?

Der Täter hat genommen, was er wollte

In vollkommener Schockstarre bemerkten beide erst nach einiger Zeit, dass sie bestohlen wurden. Sowohl Max als auch Sebastian fehlten alle Wertgegenstände, die sie bei sich hatten: Geld, Schlüssel, Handy und Kopfhörer. Als sie die Kreditkarten später sperren wollten war schnell klar: es wurde bereits viel Geld vom Konto geholt.

Die gestohlenen Kreditkarten waren für Sebastian aber nicht das Schlimmste: „Ich habe an meinem Körper gespürt, dass ich durchsucht und angegriffen wurde. Meine ganze Kleidung war zerrissen, meine Hose offen und meine Schuhe ausgezogen. Es war schrecklich“. Ab diesem Zeitpunkt wussten beide, dass es kein Zufall gewesen sein kann, sondern dass sie absichtlich unter Drogen gesetzt wurden. 

Die Polizei wollte ihnen nicht glauben

Als sich beide dazu entschlossen hatten eine Anzeige zu machen, wussten sie noch nicht, was auf sie wartete. Es waren bereits ein paar Tage vergangen als sie auf das Revier kamen. Als sie die Anzeige erstatten, dass sie bestohlen wurden, reagierten die Polizisten ungläubig und misstrauisch. Sie unterstellten ihnen, betrunken gewesen zu sein und deswegen ihre Wertsachen verloren zu haben.

Max und Sebastian mussten sich einem Verhör unterziehen in dem sie beweisen mussten, keine Schuld zu tragen. Sebastian hätte zwar beweisen können, dass er unter K.O. Tropfen gesetzt wurde, da er früh oft im Krankenhaus war und wusste, dass die Drogen nachgewiesen werden könnten, wollte jedoch nicht. Er sagt heute, dass es ihm in der Situation damals lieber war, dass Leute ihm nicht glaubten, dass er bestohlen wurde, als erklären zu müssen, was der wirkliche Grund war. Er schämte sich. Auch noch heute. Obwohl er weiß, dass er das eigentlich nicht muss.

So haben sie sich nach dem Erlebnis gefühlt

Max sagt, er ist in seinem gesamten Leben noch nie auf so viel Misstrauen gestoßen. Selbst seine Eltern fragten ihn ein Mal zu oft, ob er nicht vielleicht doch betrunkener war als er zugeben möchte.

Hinzu kommt die Unsicherheit und das Unwissen darüber, was in der Nacht wirklich passiert ist. Beide kannten das Gefühl vollkommen hilflos zu sein bis dahin nicht. Nicht zu wissen, was passiert war, das ist das Schlimmste. Sebastian sagt, dass er seit diesem Erlebnis anders denkt. Denn davor hatte er sich immer sicher gefühlt. Dinge, wie K.O. Tropfen, Machtmissbrauch oder gar Vergewaltigung, das würde ihm nie passieren. Immerhin ist er ein Mann und in der Regel passiert das doch eigentlich eher Frauen. Heute weiß er, dass es jedem passieren kann.

*Namen von der Redaktion geändert.