Ich kann kaum glauben, was ich lese. Denn Johann Gudenus, der sich seit der Ibiza-Affäre von allen Ämtern verabschiedet hat, findet sich plötzlich in einer neuen, noch dreisteren Opferrolle wieder. Sein Fehlverhalten, das in dem Video zu sehen ist, sei, laut ihm, darauf zurück zu führen, dass er unter K.O. Tropfen gesetzt wurde. Er wäre auf Ibiza „womöglich zusätzlich mit K.O. Tropfen oder ähnlichen Substanzen und Drogen“ gefügig gemacht worden. Er sagt, ihm würden über Stunden hinweg Erinnerungen fehlen und er wisse nicht mehr, was er in diesem Zustand von sich gegeben hätte. Eine Äußerung, die in meinen Augen nicht unglaubwürdiger sein könnte. Denn, lieber Herr Gudenus, lassen sie mich erklären, wie es sich tatsächlich anfühlt, unter solchen Drogen zu stehen.

Als ich das Ibiza-Video das erste Mal gesehen hatte, konzentrierten sich meine Gedanken eher darauf, wie sich seine Aussagen auf die österreichische Innnenpolitik auswirken. In dem Video spricht Johann Gudenus mit klaren Worten, gibt deutliche Anweisungen und wechselt zwischen zwei Sprachen, Deutsch und Russisch. Das gesamte Videomaterial soll sieben Stunden dauern. In dem Ausschnitt, der an die Öffentlichkeit gelangt ist, spricht, steht, gestikuliert er und ist geistig anwesend. Für einen Menschen, der unter K.O. Tropfen gesetzt wurde, etwas unmögliches. Das weiß ich aus eigener Erfahrung

Er schafft es, klare Sätze zu bilden. Teilweise steht er auf, setzt sich wieder hin oder verlässt sogar das Zimmer. Gut möglich, dass er zwar von Alkohol berauscht sein könnte, aber wohl kaum unter Vergewaltigungsdrogen steht – zumindest wenn ich daran denke, was mir passiert ist. Ich finde es eine Unverschämtheit, dass er versucht sich darauf auszureden. Auf ein Betäubungsmittel, das unzählige Menschen am eigenen Körper erleben mussten – auch ich.

Was es wirklich heißt unter K.O. Tropfen zu stehen

An vieles erinnere ich mich nicht. Nur an das Gefühl, das ich bekommen habe als die K.O. Tropfen begonnen haben zu wirken. Ich weiß noch, dass ich dachte, komisch, ich habe eigentlich kaum getrunken: Warum fühle ich mich trotzdem so betrunken? Aber es hat nicht lange gedauert bis ich wusste, dass es irgendwas anderes war. An Vergewaltigungsdrogen oder ähnliches dachte zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Das war der letzte Moment, an den ich mich noch halbwegs gut erinnere. Was dann passierte, kann ich nur vermuten. Ich habe keine Ahnung, wie ich das Lokal verlassen habe, wann das war oder wie ich nach Hause gekommen bin. Ich weiß absolut gar nichts mehr. Das macht mir immer noch Angst. Es sind Stunden, in denen alles hätte passieren können, ohne, dass ich mich daran erinnern kann.

Am nächsten Morgen bin ich angezogen und mit Schuhen, in meinem Bett aufgewacht. Mir ging es noch nie so schrecklich, wie in diesem Moment. Nicht nur, weil ich keine Ahnung hatte, was geschehen war, sondern auch, weil ich mich körperlich miserabel fühlte. Ich konnte mein Empfinden nicht einordnen. Als ich später versucht hatte das Haus zu verlassen, es aber nicht schaffte, wurde mir klar, irgendetwas stimmt nicht. Als ich dann auch noch bemerkte, wie schwer es mir fiel, einen geraden Satz zu bilden, war es genug. Ich fuhr in das nächste Krankenhaus um herauszufinden, was mit mir nicht stimmte.

Als ich dort ankam, wurde ich untersucht und die Diagnose hieß: K.O. Tropfen. Meine Benommenheit war bis zu diesem Zeitpunkt noch immer nicht vollständig vorbei.

Viele haben mich seither gefragt, ob es nicht vielleicht doch daran liegen könnte, dass ich einfach mehr getrunken habe und mich einfach nicht mehr daran erinnern kann. Und ich kann jedes Mal mit 100 prozentiger Sicherheit sagen: Nein. Denn das Gefühl, wenn man unter K.O. Tropfen steht, beziehungsweise das Gefühl danach, ist eines, das man nur nachvollziehen kann, wenn man es selbst erlebt hat. Ich habe mich in dieser Zeit so schrecklich gefühlt, dass ich mir nicht sicher war, ob jetzt meine letzte Stunde geschlagen hat.

Warum ich weiß, wie sich eine Person unter K.O. Tropfen verhält

Ich war damals, an dem besagtem Abend, mit einem guten Freund unterwegs, der mich schon jahrelang kannte. Im Nachhinein hat er mir erzählt, dass ich fast bewusstlos war. Ich hätte kaum noch sprechen können, noch habe ich auf Fragen reagiert. Er sagt mir heute noch, dass er mich noch nie so gesehen hat, wie in dieser Nacht.

Irgendwann, als er mich kurz aus den Augen verloren hat, war ich weg. Wohin ich gegangen bin oder wie ich an einen anderen Ort gekommen bin, kann ich mir bis heute nicht erklären. Mein guter Freund ist sich sicher, dass ich niemals im Stande gewesen wäre, zu gehen, beziehungsweise überhaupt zu sitzen. Er rief mich am nächsten Tag mehrere Mal an um sicher zu gehen, dass es mir gut geht. Er hat sich Sorgen gemacht, weil er nicht wusste, was noch passiert war.

Wieso muss sich Johann Gudenus mit tatsächlichen Opfern gleichstellen?

Dass sich Herr Gudenus in der Opferrolle offenbar nicht unwohl fühlt, wusste ich bereits schon. Jedoch war ich wirklich erstaunt, dass er zu diesen Mitteln greift und ein Thema anspricht, das als sehr sensibel gilt. Denn, wenn von K.O. Tropfen gesprochen wird, muss man aufpassen. Man spricht damit eine große Menge an Menschen direkt an, die sich angegriffen fühlen – so auch ich.

Ich finde es schlimm, dass der Zustand unter K.O. Tropfen von ihm als Ausrede verwendet wird. Er versucht dadurch zu erklären, wieso er in Ibiza über den Gewinn der kompletten Macht eines unabhängigen Mediums gesprochen hat. Anscheinend dürfte er in seiner Aussage vergessen haben, dass die Beeinträchtigung durch K.O. Tropfen das Leben vieler Menschen negativ verändert hat. Es gibt unzählige Menschen, die sich niemals von ihrer Erfahrung mit der Vergewaltigungsdroge erholen werden. Und genau das hervorzuheben, um sich selbst in ein Licht zu stellen, das Mitleid hervorrufen soll, ist beleidigend – für alle jene, die tatsächlich Erfahrungen mit K.O. Tropfen gemacht haben. Es verharmlost die tatsächlichen Auswirkungen, die durch K.O. Tropfen passieren können. Johann Gudenus hat, in meinen Augen, Grenzen überschritten, die er niemals hätte überschreiten dürfen.