Die letzte Sitzung des Nationalrats, die am 25. September stattfand, thematisierte das bereits scharf kritisierte Gewaltschutzpaket. Im Endeffekt entschieden sich die ÖVP und FPÖ dazu, es endgültig zu beschließen. Das bedeutet, dass ab jetzt Anzeigepflicht vom Gesundheitsbereich bei Vergewaltigungen herrscht. 

Menschen, die im Gesundheitsbereich arbeiten, sollen jetzt darüber urteilen, ob eine Frau vergewaltigt wurde oder nicht. Falls der Verdacht besteht, herrscht Anzeigepflicht. Dass eine Anzeige eigentlich nur selbstbestimmt passieren darf und, dass eine Erhöhung des Strafausmaßes eine Geringschätzung der Opfer ist, wird nicht beachtet.

Frauenbilder der ÖVP & FPÖ

Die ÖVP hält in ihrem zweiten Kapitel des Wahlprogramms fest, das sie die Altersarmut von Frauen bekämpfen will. Das bedeutet unter anderem, dass ein automatisches Splitting der Pension stattfinden soll. Wenn also eine Person mehr verdient als die andere, haben dennoch beide eine gleich hohe Pension. Viel mehr Frauenpolitik, die dem heutigen Wunsch nach Gleichberechtigung gerecht wäre, gibt es jedoch nicht. So hat die ÖVP weder das Frauen*Volksbegehren unterschrieben, noch möchte sie eine Frauenquote oder eine Legalisierung der Abtreibung durchsetzen. Die Partei hält an einem veraltenden Frauenbild fest, das sich in mehreren Facetten äußert.

Auch die FPÖ macht Frauenpolitik, die man nur schwer als solches bezeichnen kann. Zwar sprechen sie sich in ihrem Grundsatzprogramm für Gleichberechtigung aus, vertreten es aber kaum ersichtlich. Als Beispiel in einem ihrer Werbevideos dient eine schwangere Frau, die abtreiben möchte. Die FPÖ fordert hier eine Bedenkzeit. Auch, wenn man sich die Videos genau ansieht, mit der die FPÖ Wahlkampf betreibt, merkt man, welches Frauenbild vertreten wird.

Zudem ist die Anzahl von Frauenmorden, die seit Anfang des Jahres in Österreich passierten, als Partei-unterstützend genutzt worden. Seitens der FPÖ werden diese Morde nämlich hauptsächlich Männern zugeschrieben, die nach Österreich eingewandert sind. Herbert Kickl richtete eine Screening-Gruppe ein, die die Biographie der Täter genau analysierte. Dadurch griff man in den Diskurs rund um die Thematik ein. Feministische Forderungen wurden rassistisch instrumentalisiert.

Statt der Anzeigepflicht sollte man Frauen selbst entscheiden lassen

Das Gewaltschutzpaket bestimmt, die Erhöhung des Strafausmaßes und die Anzeigepflicht, die bei dem Verdacht auf Vergewaltigung herrscht. Fraglich ist allerdings, ob eine Erhöhung der Strafe Täter davon abhält, gewalttätig zu werden. Hinzu kommt, dass da Gewaltschutzpaket den Opfern von Vergewaltigung eigentlich sogar mehr schaden könnte, anstatt ihnen zu helfen. Dadurch, dass der Gesundheitsbereich entscheiden soll, ob eine Vergewaltigung stattgefunden hat und anschließend eine Anzeige einreichen muss, wird den Opfern die Selbstbestimmung genommen. Hier darf man nicht vergessen, dass eine Vergewaltigung eine Gewalttat ist. Und Gewalt bedeutet immer den Verlust von Kontrolle. Etwas, dass sie durch fremdbestimmte Urteile nicht zurückbekommen, im Gegenteil. Nach sexueller Gewalt gibt es nur einen Menschen, der anschließend darüber urteilen soll, was passiert: die Person selbst. 

Der Umgang von Gewalt an Frauen ist geringschätzend. Das bedeutet, dass Opfer mit Herablassung behandelt werden. Wie sich das ausdrückt, kann unterschiedlich sein. Im Gewaltschutzpaket ist es der Fokus, der überall zu liegen scheint, nur nicht auf der Frau. Es wird besprochen, was mit dem Täter passiert, welche Strafe er bekommen soll und wie lange. Dadurch wird dem Gesundheitsbereich überlassen, über eine Situation zu urteilen, in der Frauen selbst womöglich unterschiedlich handeln und über die man niemals pauschal urteilen sollte. Das heißt, wenn Beschäftige im Gesundheitsbereich werten, ob eine Vergewaltigung stattgefunden hat, nehmen sie bereits einen Teil der Selbstbestimmung und des Mitspracherechts. Selbstbestimmung wird Opfern dann vollkommen entrissen, wenn der Gesundheitsbereich bei Verdacht von sexueller Gewalt eine Anzeige einreicht. Hier fragt man sich, inwiefern beide Punkte der Frau, die vergewaltigt wurde, helfen sollen? Weder wird durch das Gewaltschutzpaket versucht Gewalt an Frauen zu minimieren, noch scheint es die beiden Parteien zu interessieren, wie im Falle einer Vergewaltigung am besten geholfen werden kann.

Im Fall von sexueller Gewalt begibt man sich in die Obhut des Gesundheitssystems, das darüber urteilt, was weiterhin passieren wird. Fremde Menschen, die nicht nur entscheiden sollen, wie es weitergehen wird, sondern es auch müssen. Opfer von Vergewaltigung in Österreich haben kein Mitspracherecht, keine Möglichkeit von Kontrolle, noch wird die benötigende Kraft, die man nach einer Vergewaltigung bekommen sollte, versprochen.

Aktivisten forderten eine Überarbeitung des Gewaltschutzgesetzes

Vor der Entscheidung der beiden Parteien protestierten Organisationen gegen das Paket. Auf Plakaten konnte man lesen, dass Zusammenarbeit mit Experten statt Populismus gefordert wird. Und, dass es ihnen nicht um eine Erhöhung des Strafmaßes geht, sondern um mehr Verurteilungen. Das Frauen*Volksbegehren war vor Ort und demonstrierte mit Frauen, die auf dem Boden lagen. Das war jedoch nicht die einzige Organisation, die eine Überarbeitung des Gewaltschutzpakets forderten. Auch One Billion Rising war dort. Eine weltweite Kampagne für ein Ende der Gewalt gegen Frauen und Mädchen und für Gleichstellung. Auch der österreichische Frauenring sprach sich unter anderem dagegen aus.

Justizminister beschreibt Gewaltschutzpaket als zivilisatorischen Rücktritt

Das von der FPÖ und ÖVP beschlossene Gewaltschutzpaket bekam von allen Seiten Kritik. Immerhin stellten sie es bereits Anfang des Jahres vor, die Umsetzung verzögerte sich jedoch durch die Ibiza-Affäre. Sowohl Medien, als auch andere Parteien waren der Meinung, dass es nicht dem entspreche, was es eigentlich sein sollte. Justizminister Clemens Jabloner hielt eine Rede, in der er meinte, er spreche sich bewusst gegen die geplanten Vorhaben aus. Er bezeichnete das Gewaltschutzpaket als zivilisatorischen Rückschritt. Am Endergebnis änderte sich leider nichts.

Ein Drittel aller Frauen hat sexuelle Gewalt erlebt

2011 wurde eine Studie veröffentlicht, die erschreckende Zahlen liefert. Die „Österreichische Prävalenzstudie zur Gewalt an Frauen und Männern“ fand heraus, dass 29,5 Prozent der befragten Frauen sexuelle Gewalt erlebt hatten, 74,2 sexuelle Belästigung. 90,3 Prozent der Täter waren Männer, das ist fast die absolute Mehrheit. 2017 wurden 817 Vergewaltigungen angezeigt, bei nur 107 kam es zu einer Verurteilung. Das sind gerade mal 13,1 Prozent. Im Vorjahr war es sogar ein Prozent weniger. Und die Dunkelziffer, die bei sexueller Gewalt herrscht, ist viel höher. Es werden auf weniger als sieben Prozent gesetzt, die im Fall einer Vergewaltigung tatsächlich Anzeige erstatten.

Ob die ÖVP und FPÖ sich mit diesen Zahlen auseinandergesetzt haben, bleibt fraglich. Und es gibt es vor allem noch eine Frage, die im Fall des Gewaltschutzpakets offen bleibt: Warum wurde hier auf Prävention vergessen?