Weil eine Frau in China von ihrem Alltag gelangweilt war, fälschte sie jahrelang Wikipedia-Einträge zur russischen Geschichte. Jetzt ist der Schwindel aufgeflogen.

Und es zeigt sich einmal mehr: Wikipedia ist keine verlässliche Quelle!

Wikipedia-Expertin entpuppt sich als Lügnerin

Ganz egal ob in der Schule beim Deutschreferat, bei den Seminararbeiten an der Uni oder bei Recherchen in der Arbeit. Immer wieder hören wir die Warnung: Wikipedia sollte man nicht vertrauen. Denn als verlässliche Quelle eignet sich die Plattform schlichtweg nicht.

Warum zeigt jetzt einmal mehr ein Fall aus China. Denn dort hatte eine Hausfrau ein etwas fragwürdiges Hobby: jahrelang schrieb sie Beiträge für die chinesische Wikipedia über das russische Mittelalter. So weit, so unspektakulär. Denn ihre Einträge bekamen in der Community viel Lob. Schließlich schrieb sie nicht nur über ein Thema, in dem es in China wenige Expert*innen gibt, sondern auch in einer Art und Weise, die die Leser*innen überzeugte.

Denn Zhemao – so der Username der Frau – schrieb oft Artikel in der Länge von Romanen, erklärte jedes noch so kleine Detail einer Schlacht und schaffte es mit ihren Zusammenfassungen sogar, dass ihre Artikel in andere Sprachen – wie etwa Englisch, Arabisch und sogar Russisch – übersetzt wurden. Eine richtige Erfolgsgeschichte also.

206 Artikel voller Unwahrheiten

Doch da gibt es ein kleines Problem: so richtig viel Ahnung hatte die Frau nicht von russischer Geschichte. Ganz im Gegenteil! Die 206 Beiträge, die sie seit 2019 verfasste, waren allesamt von falschen Erzählungen geprägt.

Es könnte der größte Schwindel in der Geschichte der Wikipedia sein, sind sich Experten sicher. Aufgefallen ist er nur durch einen Zufall. Denn die Schriftstellerin Yifan wollte eigentlich nur die Silbermine Kaschin recherchieren, als ihr ein paar Ungereimtheiten auffielen, wie „VICE“ berichtet. Was dann startete war eine intensive Recherche einiger Freiwilliger, die nach und nach dem Schwindel der Frau auf die Schliche kamen. Zhemao schrieb von Staaten, die es so nie gab, Aristokraten, die nie existierten und Schlachten, die so nie stattgefunden haben.

Doch ihr umfangreiches Werk an Wikipedia-Einträgen und ihre professionelle Schreibart ließen nur die wenigsten hinterfragen, was genau die Hausfrau da eigentlich schrieb. Auch ihre Quellen gingen dadurch unter. Doch bei genauerer Betrachtung wurde klar: Zhemao zitierte aus Büchern, die es in der chinesischen Übersetzung so nicht gab, gab falsche Seitenzahlen an und schaffte eine Illusion von Glaubwürdigkeit, die bei der Open-Source-Plattform einfach nicht auffiel.

Frau erschuf sich eigene Wikipedia-Fancommunity

Drei Jahre lang kam sie mit ihrem Schwindel durch. Schuld daran ist zum einen auch ihre erfundene Expertise. Denn die Hausfrau beschrieb sich in ihrem Autorenprofil als Tochter eines in Russland stationierten chinesischen Diplomaten. Ihr Wissen über russische Geschichte konnte sie außerdem immer wieder perfektionieren, da sie einen russischen Mann geheiratet habe. Zusätzlich habe sie auch einen Doktortitel in Weltgeschichte, den sie an der staatlichen Universität Moskau gemacht habe. Es sind Lügen, die die Frau als absolute Expertin erscheinen ließen.

Doch zusätzlich zu diesem gefälschten Profil sorgte die Frau auch dafür, dass sie ein gutes Image gegenüber anderen Wikipedia-Autor*innen hat. Und zwar in Form von Fake-Accounts, die sie erstellte. Mit diesen lobte sie sich immer wieder selbst und schaffte so den Anschein von einer Community, die ihre Arbeit wertschätzt.

Doch Lob und Wertschätzung bekommt die Frau auf der Plattform nicht mehr. Denn wie „VICE“ berichtet wurden als Konsequenz ihrer Fälschungen jetzt alle ihre Konten gesperrt. Die Artikel, die sie verfasst hat wurden außerdem gelöscht. Derzeit wird auch noch überprüft, inwieweit sie eventuell an anderen Artikeln gearbeitet und diese mit falschen Informationen ausgeschmückt hat.

„Um eine Lüge zu verteidigen, muss man mehr Lügen erzählen“

Für die Frau blieb am Ende nur mehr eines übrig: eine Entschuldigung. Diese postete sie noch auf ihrem Wikipedia-Profil vor der Entfernung und stellte darin klar, wer sie ist. Denn die Frau spricht weder Russisch, noch Englisch. Auch ihre akademische Laufbahn war erfunden; Zhemao hat einen Highschool-Abschluss.

Doch die Hausfrau betont, dass ihre erfundenen Artikel nie in böser Absicht waren. Eigentlich hatte sie nur versucht, die schwierig verfassten Artikel zu verstehen. Dafür gab sie ähnliche Texte in Übersetzungsprogramme ein; alles was sie nicht verstand oder keinen Sinn ergab, erfand sie einfach dazu. „Wie das Sprichwort sagt: Um eine Lüge zu verteidigen, muss man mehr Lügen erzählen“, zitiert „VICE“ ihre Entschuldigung. Und daraus entstand dann ein Teufelskreis aus unzähligen erfundenen Details.

Es war eine Aktion, die sie aus Langeweile startete, beteuert die Frau; sie habe keine Freunde und ihr Mann sei nur selten zu Hause. Heute tue ihr das alles sehr leid. „Das Wissen, das ich im Moment habe, reicht nicht aus, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. In Zukunft werde ich ein Handwerk erlernen, gewissenhaft arbeiten und solche sinnlosen Dinge nicht mehr tun“, erklärt sie. Bleibt eigentlich nur zu hoffen, dass sich an dieser Geschichte niemand ein Beispiel nimmt.