Die Liebe ist monogam, der Mensch ist es nicht. Warum fällt treu zu sein oft schwer? Kann ein Seitensprung eine Beziehung bereichern? Und wann lohnt es sich zu verzeihen? Wir haben zwei Expert:innen zum Interview gebeten.

Für viele ist es der Reiz des Neuen, des Verbotenen, des Abenteuers.

11 Fragen zum Thema Seitensprung

Claudia Wille-Helbich ist Psychotherapeutin, Paartherapeutin, Sexualtherapeutin und Coach. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, ob ein Seitensprung nicht auch gut für eine Beziehung sein kann und wie Kommunikation in einer Partnerschaft verbessert werden kann:

1. Kann ein Seitensprung eine Beziehung auch bereichern?

Wenn ich in einer langjährigen, langweilig gewordenen Beziehung fremdgehe, kommt natürlich erst mal ein Kick hinein. Die meisten bemerken dann aber: So toll ist das ja gar nicht! Und eigentlich liegt’s an mir, ob ich den Kick wiederfinde oder nicht. Ich bin aber generell der Meinung, dass man Beziehungen verantwortlich leben sollte. Das heißt, auch wenn ich beschließe, einen Seitensprung zu machen, kann ich ihn so machen, dass ihn niemand mitbekommt.

2. Ist die Nähe in langen Beziehung, oft ein Hemmnis?

Je vertrauter mir der Mensch wird, mit dem ich zusammen bin, desto unspannender wird er. Guter Sex basiert für viele aber gerade auf der Spannung, dem Unbekannten. Wir leben in einer konsumorientierten Zeit und haben eine irrsinnig hohe Bereitschaft, uns einfach das zu nehmen, von dem wir glauben, dass es uns zusteht. Wir optimieren und optimieren und sind schnell frustriert, wenn die Erwartungen nicht erfüllt sind. Viele wollen treu sein, gehen dann aber fremd, weil es fast zum Lebensstil gehört. Das Versaute lebe ich dann draußen und das Vertraute, die Liebe, drinnen. Auf Dauer wird das aber mühsam, denn auch, wenn ich niemanden damit verletze, weil ich es geschickt anstelle, ist es eigentlich nicht das, was ich mir wünsche.

3. Dem Partner seine intimen Wünsche und Fantasien mitzuteilen, ist aber schwer?

Das ist ein ganz großes Tabu. Man spürt, wo die Grenzen des anderen liegen – und in diesen Grenzen bewegt man sich. Und dann möchte man ihn ja auch nicht überfordern, weil man geliebt werden möchte. Trotzdem sind da meine Fantasien oder Wünsche, die ich mich nicht auszusprechen traue – und das macht den Sex langweilig. Ich muss mir aber irgendwann den Ruck geben, diese Dinge anzusprechen und mich was trauen.

4. Wie bringe ich das dem Partner bei?

Wichtig ist es, eine Unterscheidung zu machen zwischen Fantasien und Wünschen. In der Fantasie kann ich mir Orgien vorstellen, aber mein Wunsch ist vielleicht nur der, dass der Sex etwas wilder ist. Dazu eignen sich kleine Spielchen: Man zieht ein Kärtchen und bekommt Aufgaben zugeteilt, oder ich erzähle dem Partner eine erotische Geschichte. Also immer ein bisserl indirekt, so geht’s leichter.

5. Was ist der Schlüssel zu einer liebe- und lustvollen Beziehung?

Ich muss meine Erwartungen runterschrauben. Ein bisschen weniger liebevoll und ein bisschen weniger lustvoll. Und für beides muss ich was tun. Um liebevoll zu sein, muss ich jemanden was zuliebe machen, liebe Worte sagen, Zeit mit ihm verbringen. Für das Lustvolle muss ich Interessen alleine wahren, mich bemühen, sexy für den Partner zu bleiben. Auch nach fünf Jahren schöne Unterwäsche tragen und ein bisschen flirten. Sich Dates mit dem Partner ausmachen – diesem Fremden immer wieder Raum zu geben. Viele lassen die Kinder zu Hause und fahren in Wellnesshotels. Das ist wieder liebevoll und vertraut, aber nicht sexy. Dann schon lieber in eine Bar oder ein Hotel. Und dann zieh‘ ich mir was an, das der Partner noch nicht kennt, und mach mich richtig schön, wie am Anfang der Beziehung. Ich muss dafür schon was tun. Die große Lust stellt sich nicht einfach mit dem Vollmond ein.

Dominik Borde ist Beziehungscoach für Singles und Paare. Auch er hat uns einige Fragen zum Thema Seitensprung und Fremdgehen in einer Beziehung beantwortet, wie etwa, welche Unterschiede in Sachen Untreue es zwischen Männern und Frauen gibt:

6. Worin unterscheidet sich der Seitensprung der Frau von dem des Mannes?

Während bei Frauen meistens auch Gefühle eine Rolle spielen, gehen Männer häufig fremd, um von
einer anderen Frau Bestätigung zu erhalten, die sich durch sexuelle Verfügbarkeit zeigt. Auf den Punkt gebracht: Frauen sind häufiger verliebt in den Mann, mit dem sie betrügen, Männer suchen tendenziell nach sexueller Ego-Befriedigung.

7. Vor allem vom Mann kommt danach „Es war doch nur Sex“. Gibt es so was wie „nur Sex“ überhaupt?

„Nur Sex“ in dem Sinne gibt es nicht. Ein Mann sucht ja nicht grundlos nach Sex mit einer anderen Frau. Das Fremdgehen ist also das Symptom, die Ursache aber liegt bei anderen Dingen wie Unzufriedenheit, Unreife oder mangelnder Leidenschaft. Dass er aber für die andere Frau nicht mehr empfunden hat als
sexuelles Verlangen, ist durchaus möglich.

8. Warum halten wir es für normaler, von einer monogamen Kurzzeitbeziehung zur nächsten zu eilen, als außereheliche sexuelle Kontakte in Kauf zu nehmen?

Tatsächlich handelt es sich bei Monogamie um eine gesellschaftliche Strukturierung und Ordnungsmaßnahme. Dennoch ist es ein zutiefst menschliches Bedürfnis, in einer treuen Beziehung zu leben. Manche Menschen können und wollen das aber nicht, was völlig in Ordnung ist. Problematisch wird es nur, wenn ein polyamoröser Typ und ein monogamer Typ aufeinandertreffen. Hier ist meines Erachtens absolute Ehrlichkeit gefragt, damit der andere weiß, worauf er sich einlässt. Im Grunde gibt es Paare, die monogam leben und Paare, die eine offene Beziehung führen. Funktionieren kann beides, entscheidend ist nur: Was will ich? Ein Richtig oder falsch gibt es nicht!

9. Zur Liebe gehören Gespräche, Interessen, Werte und Humor. Warum fordern wir ausgerechnet beim Sex diese Exklusivität ein?

Aus biologischer Sicht hat das etwas mit den Genen zu tun. Gerade Männer wollen ihr eigenes Erbgut weitergegeben wissen, weshalb ein Fremder dieses Vorhaben gefährden kann. Dieser Aspekt ist jedoch nur einer von vielen. Tatsache ist: Eifersucht gibt es, seit es Menschen gibt, und damit auch die Ego-Frage. Es kratzt an unserem Ego und gefährdet die Sicherheit, wenn ein anderer oder eine andere uns etwas nehmen will, das uns lieb und teuer ist. Sich auf einen anderen Menschen zu hundert Prozent verlassen zu können ist also nicht nur romantischer Natur, sondern auch überlebensnotwendig und essenziell.

10. Ist ein Seitensprung der Anfang vom Ende?

Das kommt auf das Paar an. Erfahrungsgemäß weiß ich, dass es den meisten Paaren sehr schwerfällt, wieder Fuß zu fassen und sich von einer Affäre zu erholen. Dies gelingt nur, wenn beide – und ich betone: beide – ihren Anteil daran sehen und gewillt sind, ihre Beziehung auf eine neue Stufe zu heben. Klar ist: Die Beziehung, die sie einst hatten, ist definitiv vorbei. Was jetzt kommt, muss sich scharf von Vergangenem trennen und unterscheiden. Die Realität der meisten Paare sieht allerdings so aus, dass sie zusammenbleiben, die Beziehung aber von ewigen Schuldzuweisungen und Misstrauen geprägt ist. Das geht dann so lange, bis meist wieder einer fremdgeht. Ein wahrer Teufelskreis also.

11. Wann lohnt es sich, nach einem Seitensprung durchzuhalten?

Ganz klar: wenn die positiven Aspekte der Beziehung überwiegen und eine Grundliebe vorhanden ist. Generell gilt: Solange man sich nicht gleichgültig gegenübersteht, besteht eine Chance auf Besserung. Ich habe in meiner Praxis Paare erlebt, die den Weg miteinander gegangen sind und jetzt glücklicher denn je zusammenleben. Alles ist möglich, die Frage ist nur, was man bereit ist, zu geben. Doch aus einer solchen Krise herauszukommen, fordert den Paaren oft zu viel ab. Im Idealfall also sollte sich das Paar Hilfe suchen, da man sich schnell wieder in alten Mustern verfängt.