Ich habe mich nicht mit dieser Frage auseinandergesetzt, als ich in eine offene Beziehung gekommen bin. Um ehrlich zu sein, habe ich generell nicht viel gedacht, sondern einfach gemacht. Für mich war der Gedanke einer geschlossenen, festen Beziehung einengend. Nicht, weil ich die andere Person nicht genug mochte, im Gegenteil. Sondern, weil ich Monogamie befremdlich finde. Ich verstehe zwar, dass es für viele Menschen funktioniert. Nur weiß ich, dass ich keiner von ihnen sein kann. 

Mittlerweile ist Zeit vergangen und von den anfänglichen, naiven Gedanken, die dachten, dass es kaum schwierig wird, habe ich mich gelöst. Ich bin vollkommen in der Realität angekommen. Und sie ist schmerzhaft, manchmal. Aber auch wirklich schön und ich weiß jetzt, ich würde es nicht anders wollen. So, wie es ist, passt es. Und all die Fragen, die ich mir in der anfänglichen Zeit gestellt habe, wurden durch stundenlange, offene Gespräche, Erlebnisse und Emotionen beantwortet – zumindest fast alle. Denn, eine Frage gibt es, die ich nicht vollends beantworten kann, vielleicht noch nicht, vielleicht auch niemals.

Als ich letztens mit meinem Freund gesprochen habe, haben wir ein Thema angeschnitten, zu dem wir beide etwas zu sagen hatten, aber irgendwie trotzdem nicht wussten, was das bedeutet. Wir fragten uns, ob die Beziehung, die wir führen, gerecht sein kann. Oder, ob sie das überhaupt sein muss. Irgendwie schon, dachte ich. Wie das aussieht, weiß ich bis heute nicht. Seither frage ich mich: Kann es Gerechtigkeit in einer offenen Beziehung geben?

Offenheit heißt nicht, dass man macht, was man will

Viele Menschen, denen wir erzählen, dass wir in einer offenen Beziehung leben, verstehen es nicht. Und ich finde das auch in Ordnung – meistens. Ich kann nachvollziehen, wenn diese Beziehungsform nicht etwas ist, das jeder möchte. Aber was ich nicht verstehe, sind Menschen, die mir sagen, es wird nicht funktionieren. Und, was der Unterschied zu dem sei, das wir hatten, bevor wir zusammen gekommen sind. Laut ihnen ist es keine Beziehung, wenn man mit anderen Leuten schlafen darf.

Ich kann mich mit diesen Aussagen aus zwei Gründen nicht anfreunden. Auf der einen Seite verstehe ich nicht, wieso sie glauben, sie dürfen ihre Meinung ungefragt darüber freien Lauf lassen. Immerhin erzähle ich ihnen auch nicht stundenlang, warum ich davon überzeugt bin, dass Monogamie eine überholte Beziehungsform ist, die leicht an Eifersucht zerbrechen kann. Aber ich habe verstanden, dass jeder das tun soll, was für einen am besten ist.

Auf der anderen Seite verstehen Menschen nicht, dass eine offene Beziehung nicht bedeutet, gemeinsam Single zu sein. Die emotionale, tiefe Verbindung mit einem Menschen ist genauso innig, wie in einer monogamen Beziehung – wenn nicht sogar enger. Einzig und alleine, weil man sich alles erzählt. Eine offene Beziehung basiert darauf, das zu tun, was man möchte, in offener Kommunikation mit seinem Partner. Nicht mehr und auch nicht weniger.

Und genauer das ist der Punkt: nicht nur offen ausleben, was man möchte, sondern auch alles offen kommunizieren. Und bei langen Gesprächen, die unsere tiefsten Gedanken zeigen, kommen oft Dinge auf, die man nicht gleich beantworten kann. Wie die Sache mit der Gerechtigkeit. Wenn wir eigentlich noch glauben, dass sie in unserer Beziehung existiert, fragen wir uns doch, ob das auch so bleiben wird. Was ist, wenn einer von uns beiden mit unzähligen Partnern schläft, während die andere Person das nicht tut? Ist das gerecht?

Gerechtigkeit kann so aussehen, wie man möchte

Als mein Freund das erste Mal mit einer anderen Person geschlafen hat, war das eine Erfahrung, die wichtig war. Zwar waren wir davor schon in einer offenen Beziehung, aber jetzt haben wir begonnen, sie auch aktiv auszuleben. Und ich will ehrlich sein, es war nicht einfach. Mir vorzustellen, wie er mit jemandem anderen schläft oder die Gespräche mit meinem Umfeld, in denen ich mich fast dafür rechtfertigen musste, dass er mich nicht betrogen hat. Aber wir haben viel geredet, stundenlang – Tag für Tag. Und rückblickend kann ich sagen, dass es uns, auf eine komische Art und Weise, näher zusammen gebracht hat.

Nur standen wir nun vor einem anderen Dilemma, das ich so noch nicht bedacht hatte: Er hatte bereits Sex mit jemanden anderen, ich nicht. Heißt das, ich sollte auch, damit es gerecht bleibt? Nein, natürlich nicht. In diesem Ausmaß finde ich es verwerflich nur mit jemanden zu schlafen, damit die Beziehung im Ausgleich bleibt. Und, machen würde ich das niemals. Was passiert jedoch, wenn es immer mehr werden?

Mittlerweile haben wir beide unsere Freiheiten ausgelebt, so, wie wir das wollten. Und wir haben immer darauf geschaut, dass es für den anderen passt. Dass es dem anderen gut geht, dass man nicht nur darauf schaut, seine Triebe zu befriedigen. Aber auch jetzt befinden wir uns in einem unausgeglichenen Verhältnis. Ist es fair, der anderen Person gegenüber, wenn man mehr erlebt als der andere?

Kommunikation ist der Schlüssel zum Erfolg

Ja ist es. Solange man weiß, dass es für den anderen passt. Gerechtigkeit bedeutet nicht, dass es immer dieselbe Anzahl an Partnern sein muss, damit die offene Beziehung funktioniert. Gerechtigkeit heißt, dass man zu zweit herausfindet, was das eigentlich bedeutet. Und genau das haben wir auch gemacht. Zumindest ist es ein Prozess, an den wir uns herantasten.

Wir haben für uns herausgefunden, dass wir beide nicht wollen, dass einer mit viel mehr Leuten schläft als der andere. Und, dass wir immer offen sagen werden, wenn wir das Gefühl haben, dass es zu unausgeglichen ist. Penibel genau darauf schauen, das wollen wir beide nicht. Gewusst habe ich das jedoch erst, als wir darüber gesprochen haben. Jetzt bin ich mir dessen bewusst, was ich will und auch, was er möchte. Wir waren derselben Meinung und werden weiterhin darüber reden. Denn, Gerechtigkeit ist nicht dieselbe Anzahl an Partnern, sondern das Gefühl der Sicherheit, das beiden niemals verwehrt bleiben sollte.