Die demokratische Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio Cortez hat in einer Rede sexistische Kommentare des Republikaners Ted Yoho öffentlich gemacht. Was sie dabei anspricht, zeigt ein wichtiges Problem unserer Gesellschaft auf.

Was ihr widerfahren sei, sei kein Einzelfall, sagte die Politikerin. Es gebe eine „Machtstruktur“, die eine „Akzeptanz von Gewalt und gewalttätiger Sprache gegenüber Frauen“ zulasse.

Alexandria Ocasio Cortez hält wichtige Rede über Alltagssexismus

Alexandria Ocasio Cortez ist mit ihren 30 Jahren die jüngste Abgeordnete im Repräsentantenhaus der USA. Letzte Woche kam es auf den Stufen des Kapitols, dem Sitz des amerikanischen Kongresses, zu einer Auseinandersetzung zwischen ihr und dem 65-jährigen Republikaner Ted Yoho. Dabei beschimpfte sie der Politiker als „fucking bitch“ („verdammte Schlampe“) und bezeichnete sie als „ekelhaft“. Später entschuldigte sich Yoho in einer Rede im Repräsentantenhaus für seine „Leidenschaft“, nicht aber für seine Wortwahl. Er bestritt zudem, Ocasio-Cortez als „fucking bitch“ bezeichnet zu haben.

Das brachte die junge Politikerin dazu, selbst eine Rede zu halten und sprach darin Probleme an, mit denen sich vermutlich jede Frau identifizieren kann. Die 30-Jährige begann ihre Ansprache damit, zu erzählen, dass sie mit der U-Bahn in New York fahre und früher als Kellnerin gearbeitet habe – eine Realität, in der sich wohl viele Frauen wiederfinden. Deshalb würden sie derartige Worte auch nicht mehr persönlich treffen. Umso mehr hatte sie aber Yohos anschließende „Entschuldigung“ schockiert. Denn der Politiker versteckte sich dabei hinter seiner Frau und seinen zwei Töchtern. „Als jemand, der seit 45 Jahren verheiratet ist und zwei Töchter hat, bin ich mir meiner Sprache sehr bewusst“, hatte Yoho gesagt und hinzugefügt: „Ich kann mich nicht für meine Leidenschaft entschuldigen oder dafür, dass ich Gott, meine Familie und mein Land liebe.“

Ein Mann, der sich hinter seinen Töchtern versteckt

Ocasio Cortez verurteilte dieses Argument zutiefst. Männer wie Yoho würden „Ehefrauen und Töchter als Schutzschild für schlechtes Benehmen benutzen.“ Sie fügte hinzu:“Ich bin zwei Jahre jünger als die jüngste Tochter von Herrn Yoho. Auch ich bin die Tochter von jemandem. Zum Glück lebt mein Vater nicht mehr und muss nicht erleben, wie Herr Yoho seine Tochter behandelt. Meine Mutter hat die Respektlosigkeit von Herrn Yoho mir gegenüber hier im Plenum im Fernsehen gesehen, und ich bin hier, um meinen Eltern zu beweisen, dass ich ihre Tochter bin und dass sie mich nicht dazu erzogen haben, dass ich mich von Männern beleidigen lasse“, fügte die Politikerin hinzu.

Eine Auseinandersetzung zwischen Politikern ist an sich nichts Außergewöhnliches. Auch eine flache, unaufrichtige öffentliche Entschuldigung gehört wohl zur Berufsbeschreibung. Doch ein Mann, der seine Kollegin – eine gewählte Kongressabgeordnete – „ekelhaft“, „verrückt“ und „gefährlich“ nennt, sie „fucking bitch“ schimpft und danach versucht das Ganze mit seiner „Leidenschaft“ zu relativieren: Das ist ein Problem unserer Gesellschaft. Ein Problem, das bisher oft nicht angesprochen wurde. Denn die Beschimpfungen, die der 65-jährige Yoho seiner jungen Kollegin an den Kopf warf, sind vielen Frauen wohl nicht fremd. Ob sie nun von jemandem kommen, dem man ein Date verweigert oder ob sie auf professioneller Ebene passieren: Beschimpfungen und Bloßstellungen sind auch eine Form von Gewalt gegen Frauen.

Beleidigungen als Form von Gewalt

Männliche Gewalt gegen Frauen ist das deutlichste Zeichen, dass wir noch immer in einer Welt leben, in der das weibliche Geschlecht als ein Störfaktor betrachtet wird. Frauen in Machtpositionen werden oft als „verrückt“, als „Bitches“ dämonisiert. Sie seien hart und kalt. Ihre Vernunft wird ihnen abgesprochen. Wäre Ocasio-Cortez ein Mann, hätte die Auseinandersetzung zwischen ihr und Yoho vermutlich anders ausgesehen. Vermutlich wären gar keine persönlichen Beleidigungen gefallen. Und ganz bestimmt hätte sich Yoho in seiner darauffolgenden Entschuldigung nicht darauf ausgeredet, dass er als Ehemann und Vater von Töchtern sensibel für Sprache sei. Es ist allerdings interessant, dass der Republikaner seine weibliche Verwandtschaft in seiner Rede erwähnte.

Wieso tut er das? Vielleicht, weil er seine Entschuldigung etwas personalisieren wollte. Vielleicht aber auch, um zu zeigen, dass er „Frauenprobleme“ verstehen würde, weil er immerhin Frauen kenne. Muss man aber unbedingt Frauen in der Familie haben oder eine Frau sein, um einer Frau des Mindeststandard an Respekt zu zollen, der einem Menschen gebührt? Nein. Denn Frauen sind nicht anders als Männer. Auch sie verdienen es, wie Menschen behandelt zu werden. So einfach ist das.

Die Entmenschlichung der Frau

Wir leben noch immer in einer Welt, in der Frauen als „anders“ betrachtet werden, während Männer die Norm darstellen. Politikerinnen oder Führungskräfte: Sie alle befinden sich in einer „Männerwelt“. Genauer gesagt befinden sich vermutlich alle Frauen in einer „Männerwelt. Das ist auch im Jahr 2020 noch immer der allgemeine Konsens. Kein Wunder, dass viele Männer glauben, die Frauen hätten in „ihrem Bereich“ nichts verloren. Diese Annahme ist ein Teil unseres Systems. Wir alle, egal ob Frau oder Mann sind mit dieser Ansicht aufgewachsen. Viele Frauen haben sich daher auch an verbale Gewalt von ihren männlichen Kollegen gewöhnt. Es ist etwas, das dazu gehört. Deswegen hätte auch Alexandria Ocasio-Cortez ursprünglich nicht auf die Beleidigungen von Ted Yoho reagiert. Erst nach seiner Nicht-Entschuldigung entschied sie sich dazu, das Kind beim Namen zu nennen.

„Das ist nichts Neues und genau das ist das Problem“, erklärte sie in ihrer Rede im Repräsentantenhaus und fügte hinzu: „Es ist ein kulturelles Problem. Es ist eine Kultur der Straflosigkeit, eine Kultur der Akzeptanz von Gewalt, von gewaltvoller Sprache gegen Frauen und eine komplette Machtstruktur, die das unterstützt.“ Danach zählte sie eine Reihe von Politikern auf, unter die sich übrigens auch der amerikanische Präsident gesellt, die sie auf ähnliche Weise beleidigt haben. „Die entmenschlichende Sprache ist nicht neu und wir sehen, dass solche Vorfälle Struktur haben. Es ist eine Struktur des Verhaltens gegenüber Frauen und eine Struktur der Entmenschlichung von anderen.“

Ihre Rede scheint einen Nerv getroffen zu haben. Jennifer Lawless, eine Politik-Professorin der University of Virginia nannte die Rede von Ocasio-Cortez „die wichtigste feministische Rede dieser Generation“ und verglich sie mit der „Frauenrechte sind Menschenrechte“-Ansprache von Hilary Clinton aus dem Jahr 1995. Nach der Me Too-Bewegung und der momentanen Demonstrationen gegen Rassismus, stößt Ocasio-Cortez, die puerto-ricanischer Abstammung ist, bei ihren Mitmenschen auf offene Ohren. Endlich kann eine Frau über die entmenschlichende Sprache reden, ohne dabei auf taube Ohren zu stoßen.