Jedes Mal, wenn ich Hanna treffen, dann fällt mir auf, wie schön sie ist. Sie sticht sofort ins Auge, ihre langen, blonden Haare unterstreichen ihre weiblichen Gesichtszüge. Man merkt, dass sie darüber nachdenkt, wie sie sich schminkt oder welche Kleidung sie trägt. Spätestens dann, wenn sie darüber spricht, wie lange sie Tag für Tag vor dem Spiegel steht. Ich kenne kaum jemanden, der mehr Weiblichkeit ausstrahlt als Hanna.

Aber Hanna ist eigentlich ein Mann. Zumindest, wenn man sich ihre Geschlechtschromosomen ansieht. Dabei handelt es sich nämlich um die XY-Chromosome, die normalerweise nur bei einem Mann zu finden sind.

Was genau bedeutet das?

Als mir Hanna erzählt hatte, dass sie männliche Geschlechtschromosomen hat, wusste ich mit dieser Information nichts anzufangen. Also habe ich sie gefragt, was das bedeutet, wie das sein kann und was es für einen Unterschied macht. Und welchem Geschlecht sie sich schlussendlich zugehöriger fühlt.

Sie erklärte mir, dass eine XY-Frau als Frau, die trotz X und Y-Chromosomen ein weibliches Auftreten hat, bezeichnet wird. Die eigentlich männlichen Geschlechtshormone werden aufgrund von hormonellen Wirkungen, ausgeglichen. Das bedeutet, dass eine partielle oder komplette Testosteronblockade besteht. So kann es sein, dass trotz der männlichen Chromosome ein weibliches Erscheinungsbild passiert.

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Also sagt Hanna, rein biologisch ist sie keine Frau. Wissen tut sie das, seitdem sie in die Pubertät gekommen ist. Was anfänglich noch ein Problem für sie war, soll heute keinen Gedanken mehr wert sein. „Ich meine, überlegst du dir ständig, dass du eine Frau bist? Beschäftigst du dich ausschließlich mit der Tatsache, welches Geschlecht du hast und wieso? Ich nehme stark an, dass das nicht so ist. Also warum gehen Leute ständig davon aus, dass ich das tun muss?“

Intersexualität: Das macht XY-Frauen aus

Also, ich wusste bereits, dass es manche Frauen gibt, die genetisch gesehen Männer sind – wie Hanna, zum Beispiel. Aber abgesehen davon, wie unterscheiden sie sich von Frauen, die weibliche Geschlechtschromosomen haben? Oder stelle ich die Frage sowieso falsch und es gibt keine weiteren Unterschiede?

Tatsächlich gibt es Dinge, die sich unterscheiden können, aber nicht müssen. Hanna bekommt zum Beispiel keine Periode. Auch keine Schambehaarung, was sie in der Pubertät nicht sonderlich gut fand. „Damals hatten sich alle körperlich verändert. Meinen Freundinnen wuchsen Brüste, sie bekamen ihre Tage, aber bei mir passierte gar nichts. Ich fühlte mich wie ein Außenseiter, fast so, als könnte ich etwas dafür, dass ich anders war als die anderen.“

Mit der Zeit und nach unzähligen Arztbesuchen bekam Hanna eine Diagnose gestellt. Sie soll an einer Hormonstörung leiden, die verhindert hatte, dass sie sich geschlechtlich weiterentwickelt. Auch Gebärmutter hatte sie keine, lediglich eine kurze Vagina. Hanna meint, dass sie damals sofort erfahren hatte, sie werde nie Kinder bekommen. Das einzige, wozu sie sich damals entschied, war eine Hormonkur, die sie äußerlich zur Frau machten. Auch wenn sie damals irgendwie erleichtert war, denkt sie immer noch daran, dass sie niemals leibliche Kinder haben wird.

Bestimmt der Chromosomensatz das Geschlecht?

Woran machen wir unser Geschlecht eigentlich fest? Davon wie wir aussehen, wie wir uns fühlen, welchen biologischen Aspekten wir angehören oder doch alles zusammen? Und wer bestimmt eigentlich, wer sich welchem Geschlecht zuschreiben darf und wer nicht?

Hanna sieht sich selbst als Mädchen, deswegen findet sie, dass sie auch eines ist. Sie meint, wenn sie sich so fühlt, dann ist das auch so. Und Menschen, die ihre Geschichte kennen und meinen, dass „sie ja strenggenommen nicht weiblich ist“, haben in ihren Augen keine Ahnung, wovon sie eigentlich sprechen. Das eigene Geschlecht muss nicht immer eine Frage sein, die man nur mit ja oder nein beantworten kann. Sie kann teilweise Raum für viele, unterschiedliche Interpretationen geben. Und das ist auch gut so, findet Hanna. Und während sie das sagt, streicht sie ihre blonden, langen Haare aus ihrem Gesicht, das nur so vor weiblichen Zügen strotzt.