Jede Frau, die einen Social Media-Account hat, weiß: Es gibt noch immer Männer, die ungefragt Dickpics versenden. In einer Zeit, in der ein dänischer Kindersender eine Zeichentrickserie über John Penis-Mann, der seinen Penis nicht kontrollieren kann, herausbringt, sollte uns das eigentlich nicht verwundern.

Was aber ist so schlimm an einem Penis? Und sollten wir uns wirklich schon bei Kinderserien darüber Gedanken machen, wie wir mit Genitalien umgehen?

Der Lümmel und die Möse

Penis, Schwanz, Glied – vielleicht hin und wieder die Latte, der Lümmel oder in Österreich das Spatzi. Das männliche Geschlechtsteil hat im Vergleich zu seiner weiblichen Kollegin viel weniger, vor allem aber weitaus weniger degradierende und beleidigende Spitznamen. Googelt man beispielsweise nach einem Synonym für Vagina, spuckt der Rechner folgenden reichen Wortschatz aus: Scheide, Muschel, Muschi, Möse, Ritze, Schnecke, Fotze, Loch, Schlitz. Selbst in Medien und Werbung scheint es noch immer ein Tabu zu sein, die Vagina beim Namen zu nennen. Stattdessen werden wundersame Wortkreationen verwendet wie etwa Schmuckkästchen oder Döschen. Ein scheinbar unschuldiges Vorgehen, das uns zeigt, wie unangenehm uns das Thema Vagina noch ist. Mit dem Penis wird in unserer Gesellschaft freizügiger umgegangen. Das erklärt vielleicht auch, wieso es noch immer unzählige erwachsene Männer gibt, die ungefragt Dickpics verschicken. Ganz nach dem Motto „ist doch nur ein Penis“.

Diese Tabuisierung des weiblichen Genitals hat zur Folge, dass wir eigentlich recht wenig darüber wissen. Das bestätigt alleine schon der vorangegangene Absatz. Darin habe ich das Wort Vagina verwendet, als wäre es ebenso wie der Penis beim Mann, das sichtbare Geschlechtsteil. Das ist es aber nicht. Das Wort, nach dem wir suchen heißt Vulva. Sie ist das sichtbare weibliche Genital. Die Vagina ist die Verbindung zwischen ihr und den inneren Sexualorganen. Auch hier scheint Google verwirrt zu sein. Die Synonyme, die ausgespuckt werden lauten: Muschi, Feige, Katze, Möse, Fotze, Fut, Schoß. Schön!

Die ernste Vulva und der lustige Penis?

In Brasilien sorgte Anfang Jänner eine Land-Art-Skulptur in Form einer solchen Vulva für Aufregung. Die Künstlerin Juliana Notari wollte damit das Thema Gleichberechtigung in Fahrt bringen. Denn unter anderem Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro ist bekannt für seine frauenfeindlichen Aussagen. Von seinen Anhängern wurde die Künstlerin auch wenig überraschend schnell angefeindet. So schlug Olavo de Carvalho, der auch als Guru Bolsonaros gilt, auf Twitter vor, das Werk mit einem riesigen Penis zu konfrontieren. Außerdem gab es auch die üblichen Beleidigungen und sogar Drohungen gegen die Künstlerin persönlich.

Etwa zur selben Zeit ging im 9.700 Kilometer entfernten Dänemark „John Dillermand“ zum ersten Mal auf Sendung. Die Kinderserie handelt von John, dessen überlanger Penis gerne Mal ein Eigenleben führt und sich nicht immer von seinem Besitzer kontrollieren lässt. Die Serie löste zwar heftige Debatten aus, weil sich Dänemark mitten in einer zweiten Welle der MeToo-Debatte befindet, der dänische Sender DR wird sie aber weiterhin ausstrahlen. „John Dillermand lebt in einer fiktiven und humoristischen Welt. Wir erzählen eine lustige Geschichte, für die sich Kinder begeistern. Es ist eine Zeichentrickserie, in der Humor, Übertreibung und Magie im Mittelpunkt stehen“, erklärte die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt. Sie hätten ebenso gut eine Serie „über eine Frau ohne Kontrolle über ihre Vagina“ machen können.

Dass die Produzenten bei DR wohl auch nicht den Unterschied zwischen Vulva und Vagina kennen, sei jetzt so dahingestellt. Dass sie ebenso gut eine Serie über ein unkontrollierbares weibliches Organ hätten machen können, bezweifelt Sexualpädagogin Conny Lindner: „In unserer Gesellschaft würde das, denke ich, noch nicht funktionieren.“ Die ausgebildete Sozialarbeiterin, Sexualpädagogin und Sexualberaterin, die selbst Mutter einer vier Monate alten Tochter ist erklärt: „Bei einem Penis, ist es etwas Lustiges. Bei einer Vulva hätte das ganze für viele eine verruchte Note. Das ist auch aus patriarchaler Sicht sehr interessant.“

Vul-was?

Conny Lindner hat in ihrer Arbeit an Schulen schon viele Eltern und Lehrer getroffen, denen der Begriff Vulva fremd war. „Dementsprechend glaube ich, dass es noch sehr lange dauern würde bis eine Sendung über eine Vulva überhaupt rauskommen würde, weil einfach der Begriff alleine schon nicht bekannt genug ist“, erklärt die Sexualpädagogin.

Ein Penis ist von Natur aus leichter zu zeichnen. Im Fall von John Dillermand ist er dem anatomischen Original nicht einmal ansatzweise ähnlich. Er sitzt als langer Schlauch zwischen den Beinen der Zeichentrick-Figur, nackt ist er auch nicht, sondern ebenso rot-weiß gestreift, wie der Anzug seines Besitzers. Eine Vulva ist schwieriger zu verpacken. „Eine Vulva müsste man wahrscheinlich nackt zeigen. Allein deshalb würde es vermutlich nicht funktionieren.“ Denn Genitalien sind eine Sache, aber dann auch noch anatomisch korrekt dargestellte Genitalien? Nein, danke! Wenn Conny Lindner in einer Schule aufklärt, muss sie ganz genau aufpassen, welches Darstellungsmaterial sie mitbringt. Realitätstreue Zeichnungen von Geschlechtsteilen könnten bei jüngeren Schülern zur Verärgerung der Eltern führen. „Modelle nehme ich schon mit, aber da habe ich auch welche, die eine andere Farbe haben, zum Beispiel Lila“, erzählt die Sexualpädagogin.

An einer Kindersendung, in der Genitalien erwähnt oder besprochen werden, hat sie nichts auszusetzen. John Dillermand mit dem Riesenpenis sieht sie dennoch kritisch. „Es braucht einen unaufgeregten Zugang zu Sexualität für alle. Die Grundidee, dass man Genitalien nicht als etwas tabuisiertes ansieht, finde ich prinzipiell ganz gut. Kritisch ist im Fall von dieser Serie aber, dass dieser Penis ein Eigenleben hat und John Dillermand ihn nicht kontrollieren kann“, erklärt Lindner. Kinder könnten dadurch lernen, es sei eine akzeptable Ausrede von Erwachsenen, dass sie ihren Penis nicht kontrollieren können.

Der Penis als Waffe

Die Aufregung um John Dillermand wurde in Dänemark auch dadurch befeuert, dass sich das Land momentan in einer zweiten Welle der MeToo-Bewegung befindet. Die Bewegung hatte in Dänemark erneuten Aufwind bekommen, nachdem die Moderatorin Sofie Linde bei einer Award-Show zugegeben hatte, mit 18 Jahren von einem wichtigen Mitarbeiter des öffentlichen Senders DR zur Oralsex genötigt worden zu sein. Im Oktober musste schließlich Kopenhagens Bürgermeister Frank Jensen nach Fehlverhalten gegenüber Frauen zurücktreten. Wird der Penis hier wieder als Waffe gesehen, wie an feministischen Bewegungen so oft kritisiert? Ganz und gar nicht. Es geht nicht um den Penis. Es geht darum, was damit gemacht wird und welche Stellung er in unserer patriarchalen Gesellschaft einnimmt.

Was ist so schlimm an einem Penis?

Was ist also schlimm an einem Penis? Absolut gar nichts. Ebenso wenig wie an einer Vulva. Das Problem liegt darin, dass unsere Gesellschaft dem Penis viel mehr „Screentime“ gibt. Die weiblichen Geschlechtsteile sind in den Medien so unterrepräsentiert, dass Instagram den Nippel auf einer weiblichen Brust immer noch zensiert. Der Penis ist lustig, die Vulva eine Kriegerin der feministischen Bewegungen. Dabei sollte beiden Genitalien genügend unaufgeregte Beachtung geschenkt werden. Und das am besten schon im Kindesalter.