Schauen Frauen eigentlich auch Pornos? Wenn ja, dann stehen sie fix nicht auf Gangbangs und Analsex! Oder doch?

Wir haben zwei Frauen nach ihren Videovorlieben gefragt – und mit Pornoproduzentin Erika Lust über feministische Pornografie gesprochen.

Frauen & Pornos

Frauen und Pornos – noch eines dieser Tabuthemen in unserer Gesellschaft! So was schaut man als Frau doch nicht. Das ist billig. Und schmutzig. Und pervers. Von wegen! Laut aktuellen Umfragen ist fast ein Drittel der Zuschauer:innen auf Pornoseiten weiblich – Tendenz steigend. Newsflash: Auch Frauen sind von Pornos angeturnt! Und ja, auch Frauen masturbieren gerne mal zu einem Hardcore-Streifen. Das bestätigt auch eine Studie aus Finnland, bei der 2.000 Frauen zu ihrem Pornokonsumverhalten befragt wurden. Doch der Diskurs darüber hält sich noch ziemlich in Grenzen. Höchste Zeit also, endlich auch mal ganz ungeniert darüber zu sprechen, worauf wir wirklich stehen!

Wir haben mit zwei Frauen – Susanne und Gabi (Namen von der Redaktion geändert) – über ihre Pornovorlieben gesprochen. Und im miss-Interview mit Pornoproduzentin Erika Lust über die Zukunft von Pornografie geplaudert.

Worauf stehen Frauen bei Pornos?

Susanne erzählt, dass sie zur Selbstbefriedigung gerne Videos schaut, die ihre Fantasien bis zu einem gewissen Grad auf dem Bildschirm zeigen. Und das muss keineswegs Kuschelporn sein. Ganz im Gegenteil: „Es darf ruhig auch wild sein und mir gefällt es zum Beispiel, wenn die Frau vom Mann dominiert wird – oder umgekehrt“, so Susanne; „für Blümchensex muss ich mir keinen Porno anschauen!“ Ein No-Go für sie: „Ich mag keine Videos, bei denen man von den Männern immer nur den Penis sieht und kein Gesicht dazu.“ Ihre Vorlieben sind ganz klar realistische Pornos – gekünsteltes Gestöhne und Videos, bei denen die Darstellerinnen alleine beim Anblick eines Penis kommen, klickt sie sofort weg. Da stimmt ihr auch Gabi zu: Für sie ist es wichtig, dass die Clips nahbaren Sex zeigen, den sie selbst im Bett ausleben würde. Außerdem stöbert sie gerne in Genres, die für sie persönliches Neuland sind: „Ich selbst hatte noch nie Analsex, finde das aber unglaublich anturnend. Ich will das selbst mal ausprobieren, bis jetzt hat es sich aber noch nicht ergeben, darum hole ich mir halt auf Pornoseiten Inspiration“, erzählt sie.

Die Harmonie muss stimmen

Worauf weder Susanne noch Gabi steht, sind Videos mit künstlichen Dialogen, solche, in denen das Gestöhne nicht echt ist, und Clips, deren Szenen generell total unrealistisch sind. „Dass ich mit meiner BFF, meinem Papa und seinem besten Freund an einem Tisch sitze und auf einmal machen wir ‚Partner-Swap‘, meine BFF f***t meinen Papa und ich seinen Freund – das ist so was von nicht realistisch und das will ich auch nicht sehen“, so Susanne. Klar sind Pornos nie ein Abbild der Realität, aber es muss zumindest die Harmonie zwischen den Darsteller:innen stimmen und echt rüberkommen: „Wenn bei einem Porno der Punkt kommt, an dem ich mir nicht sicher bin, ob die Frau das freiwillig macht oder ob sie gerade gezwungen wird, dann ist bei mir tote Hose und die Stimmung dahin“, meint Susanne. „Richtig! Auch ich muss sehen, dass die Frau Spaß hat!“, stimmt Gabi zu.

Für Blümchensex muss ich mir keinen Porno anschauen.

Relatable Porn: Erika Lust im Interview

Dass Frauen, die Pornos schauen, nur Softcore oder romantische Erotikfilme aufdrehen, ist definitiv ein Mythos. Das bestätigt auch Regisseurin und Filmproduzentin Erika Lust. Sie dreht seit mittlerweile 20 Jahren Pornos, die – anders als Mainstream-Produktionen – nicht den sogenannten „Male Gaze“ in den Vordergrund stellen (also nur die männliche Perspektive, mit der diese Filme zumeist gedreht werden), sondern bei denen es um Gender Equality geht, und darum, zu zeigen, dass auch die weibliche Lust zählt. „Als ich an meinem ersten Film gearbeitet habe, wusste ich, dass ich auch dem Female Gaze eine Bühne geben muss. Female Gaze ist essenziell, wenn es darum geht, den Status quo von Pornos zu challengen, die Industrie mit ihrer männlichen Herrschaft zu konfrontieren und Alternativen anzubieten.“

Mit ihren Produktionen will Erika Lust Inklusivität fördern und zu einem positiven Diskurs über Sex, erotische Vorlieben und Pornografie beitragen. Im miss-Interview erklärt sie, dass ein Shift dieser Perspektive beim Drehen von Pornofilmen dadurch entsteht, dass auch Frauen, Mitglieder der LGBTQ+-Community und BIPOC als Producer:innen, Regisseur:innen und Scriptwriter:innen in Produktionen eingebunden werden. Nur so kann ein sex-positiver Space entstehen. „Die Mehrheit der stereotypischen Pornos auf Gratis-Webseiten wird von heterosexuellen Männern produziert, die besessen von Close-up-Szenen der weiblichen Darstellerin und ihrer Vagina sind, während der Mann als kopfloser Penis dargestellt wird“, kritisiert Lust die Branche und bestätigt damit die Kritik von Susanne und Gabi an den Mainstream-Pornos, die man im Netz findet.

Lusts Ziel ist es, Filme zu produzieren, bei denen die Bedürfnisse aller gehört und ernst genommen werden; vor allem auch die der Darsteller:innen. Es geht also nicht nur darum, die Perspektive inklusiver zu gestalten, sondern auch den Raum, in dem Pornos produziert werden. „Ich möchte, dass jede:r das Gefühl hat, in einem Raum zu sein, in dem man seine Sexualität entspannt erforschen und ausleben kann.“

Um eine offene und entspannte Atmosphäre am Set zu schaffen, arbeitet Erika Lust deshalb auch mit Intimitätskoordinator:innen zusammen, die darauf achten, dass sich jeder wohlfühlt. Nur so können ehrliche Filme entstehen, die helfen, Sex-Positivity in der „sex-negative Culture zu verbreiten, in der wir leben“, betont Lust. „Pornografie, die die Vielfalt der Gesellschaft nicht erfasst, wird für so viele Menschen immer unzugänglich sein“, so Lust weiter. Und auch das deckt sich mit den Wünschen und Vorlieben der beiden Frauen, mit denen wir über ihren Pornokonsum gesprochen haben. Sie wollen relatable Porn, der echten Sex mit echter Spannung und echter Lust zeigt und dabei die Fantasie anregt.

Was sind feministische Pornos?

Ein Stichwort, das in Verbindung mit dem Thema Frauen und Pornos immer wieder aufkommt, ist Feminismus, konkret „feministische Pornos“. Aber was ist das eigentlich, und wie sieht Erika Lust diesen Begriff?

Erika Lust: „Feministische Pornos begannen ursprünglich, um ein Genre zurückzuerobern, das traditionell ausschließlich als Männerbereich angesehen wurde, und um eine andere Perspektive darauf zu bringen, wie wir Sex darstellen. Auch dies bedeutet nicht, dass feministische Pornos plötzlich ‚Pornos für Frauen‘ sind. In feministischen Pornos sind Frauen, Männer und Menschen jeden Geschlechts dafür verantwortlich, was sie sexuell tun; Sie besitzen ihr Vergnügen und werden als gleichberechtigte sexuelle Kollaborateure behandelt, nicht als Objekte oder ‚Sexmaschinen‘. Bei Pornos mit feministischen Werten geht es im Wesentlichen darum, eine authentische und gleichberechtigte Darstellung der menschlichen Sexualität ohne Geschlechterstereotypisierung zu zeigen, die letztendlich sowohl Männern als auch Frauen schadet.

Was muss sich bei Pornos Ihrer Meinung nach ändern?

Erika Lust: „Wir brauchen Pornos, um mehr sex positivity in unserer sex-negativen Kultur zu verbreiten, in der wir immer noch leben. Mit meiner Arbeit und die von Gastregisseuren bei XConfessions, Lust Cinema, Else Cinema oder The Store by Erika Lust möchten wir die Freude an sex-positivem Feminismus verbreiten. Es ist nicht die Aufgabe von Pornos, Menschen über Sex aufzuklären. Wie bei jeder anderen Form von Medien und Unterhaltung, würde es auch bei Pornos jedoch nicht schaden, sexuelle Szenarien darzustellen, in denen die Kultur des gegenseitigen Einverständnisses von größter Bedeutung ist, und es Kommunikation und eine Vielfalt von Körpern und Sexualitäten gibt.

Pornos haben ein enormes Potenzial, Menschen dazu zu inspirieren, Sex als einen gesunden, natürlichen Teil ihres Lebens zu sehen, der es wert ist, gefeiert zu werden. Sex-positiv zu sein bedeutet, eine offene, akzeptierende und fortschrittliche Einstellung zu Sex und Sexualität zu pflegen, während man sich in Bezug auf sein erotisches Selbst gut fühlt und man stolz im eigenen Körper lebt. All das kann nur positive Auswirkungen auf die Menschen haben!“

Was ist Ihre Definition von einem guten Pornofilm?

Erika Lust: „Pornos, bei deren Produktion man sich gut um alle kümmert, die menschlich und professionell daran beteiligt sind, und die stolz die Gleichstellung der Geschlechter, Intimität, Vielfalt, eindeutige Zustimmung, Sicherheit, Vergnügen und sexuelle Freiheit und Erkundung fördern.“

Sie sind seit fast 20 Jahren in der Porno-Industrie – was hat sich über die Jahre verändert? Hat sich überhaupt etwas verändert?

Erika Lust: „Es gibt ein allgemeines, wachsendes Bestreben innerhalb der Industrie – egal ob Mainstream oder Indie – die Dinge besser zu machen, mit mehr Transparenz und besseren Arbeitsbedingungen für alle Beteiligten, wo die Zustimmung aller ernst genommen wird, auch weil Darsteller jetzt unabhängiger sind als je zuvor.“

Haben Sie Veränderungen beim Konsum von Pornos bemerkt?

Erika Lust: „Die bedeutendste Veränderung, die mir aufgefallen ist, ist, dass Pornos und Sex heutzutage weniger tabuisiert sind, insbesondere bei Frauen. Es gibt viele Online-Ressourcen und Communitys, die positivere Gespräche über Sex und sexuelle Gesundheit fördern, die den Menschen helfen, sich allmählich besser informiert und selbstbewusster zu fühlen, offen über ihre Sexualität zu sprechen. Und das liegt nicht daran, dass die Leute heutzutage mehr Pornos konsumiere; ich denke, die Leute sind jetzt eher bereit und fühlen sich wohler damit, darüber zu sprechen.

Das Stigma, das den in der Branche arbeitenden Menschen (insbesondere Frauen) immer noch weitgehend anhaftet, ist jedoch real, und wir haben noch einen langen Weg vor uns. Die Pornoindustrie wird von der Gesellschaft und den Medien immer noch schlecht behandelt. Während Menschen Pornos im Überfluss konsumieren, sind sie immer noch nicht dazu fähig, die Menschen, die Pornos machen, mit Menschlichkeit und Respekt zu behandeln oder zu verstehen, dass Sexarbeit eine Arbeit ist, die wie jede andere Arbeit bezahlt werden muss.“

Wie sehen Sie die Zukunft von Pornos?

Erika Lust: „Die Zukunft der Pornografie hängt davon ab, ob sich die Menschen bewusst werden, wie komplex und vielfältig die Pornoindustrie ist, und ob sie sich auch der Alternativen innerhalb der Branche und ihres Pornokonsums bewusster werden. Wie in vielen anderen Bereichen sind Verbraucher letztlich Teil der Industrie. Die Zukunft des Pornos hängt von den Menschen ab, die Pornos konsumieren. Wenn sie für ihre Pornos bezahlen oder ihre Lieblings-Content-Creator auf Websites wie OnlyFans & Co. unterstützen, geben sie dieser Arbeit einen Wert. So unterstützt man die Menschen, die in der Pornoindustire arbeiten, und sendet gleichzeitig die Botschaft, dass man Pornos sehen will, die in einem sicheren Umfeld, qualitativ und mit einer nicht-fetischisierenden Vielfalt hergestellt werden.“

Erika Lust ist eine schwedische Erotikfilm-Produzentin, Autorin und Regisseurin. Sie betreibt die Webseiten lustcinema.com und xconfessions.com und gilt als Vorreiterin feministischer Pornografie. (Bild: Monica Figueras)