Es ist wohl die Person, von der man bei einer Beerdigung wohl kaum eine Trauerrede erwartet: Die Verstorbene selbst. Doch im Falle von Marina Smith wurde diese scheinbar unmögliche Sache jetzt Realität. Denn dank Künstlicher Intelligenz konnte die Frau sich jetzt bei ihrer eigenen Beerdigung mit den Gästen unterhalten.

Diese waren von ihrer Rede und einigen Gesprächen offenbar richtig schockiert.

Künstliche Intelligenz ermöglicht Gespräche auch nach dem Tod

Dass künstliche Intelligenz uns so einige Vorteile und Errungenschaften in der Zukunft bringen wird, hören und lesen wir immer wieder in Fachmagazinen und Nachrichtenbeiträgen. Dass man durch künstliche Intelligenz aber Tote quasi wiederauferstehen lässt, ist eine Sache, die wohl die wenigsten auf ihrem Vision Board der Zukunft hatten.

Doch wie die Beerdigung der Holocaust-Aktivistin Marina Smith im britischen Babworth zeigte, könnten Fragerunden und Familiengespräche auch nach dem Tod bald zu unserem Alltag gehören. Denn bei der Beerdigung der Frau gab es ein Gespräch mit der Toten.

Möglich gemacht hat das Gespräch aus dem Jenseits Marinas Sohn Stephen. Er ist Mitbegründer der KI-gestützten Videoplattform StoryFile. Für seine Mutter wollte er es ermöglichen, auch nach ihrem Tod mit ihr sprechen zu können. Dafür setzte er eine neue Technologie ein, die ab dieser Woche in Großbritannien verfügbar ist. Es handelt sich um ein computergestütztes Programm mit Künstlicher Intelligenz, das ein Gespräch ermöglichen sollte, „als ob sie da wäre“, erklärt der Sohn gegenüber der „BBC“. Um das zu schaffen musste Marina vor ihrem Tod zahlreiche Fragen in einem Video beantworten.

Verstorbene hält bei eigener Beerdigung Fragerunde

Es ist eine Technologie, auf die StoryFile bei Interviews mit Holocaust-Zeitzeug*innen kam, die in der USC Shoah Foundation als interaktive Hologramme eingesetzt werden. Doch statt in einem Museum sollte Marina auf ihrer eigenen Beerdigung über ihr Leben sprechen; und zwar über „die Aspekte ihres Lebens, die ihr am wichtigsten waren“, erzählt der Sohn.

Zwei Tage lang dauerte der Dreh. Jeweils mehrere Stunden lang filmte sie sich mithilfe einer Webcam und erzählte über ihr Leben. „Was für mich als Sohn am wertvollsten war, war die Tatsache, dass meine Mutter bereit war, Fragen über ihre frühe Kindheit zu beantworten“, erzählt Stephen dem „Telegraph“. „Dazu gehörten auch schwierige Themen wie die Scheidung ihrer Eltern und das Leben als Einwanderin aus Indien. Sie war auch bereit, interessante Fragen zu ihren Ansichten über die Politik, die Umwelt und die Zukunft zu beantworten, was interessant war, weil ich solche Gespräche mit ihr noch nie geführt hatte.“

Gesprächsvideo „schockierte“ Gäste der Beerdigung

Sechs Monate später – im Juni – verstarb Marina schließlich. Bei ihrer Beerdigung konnte sie dann nach ihrer Einäscherung mithilfe der Technologie eine Rede über ihr Leben, ihren Glauben und ihre Erfahrungen halten. Anschließend folgte eine Fragerunde, bei der die Technologie eine Art richtiges Gespräch ermöglichte, indem die Gäste Fragen stellten und das KI-Programm die passenden Antworten auswählte.

Stephen Smith nennt es ein „holografisches Gesprächsvideo“. Bei diesem wirkt es so, als würde Marina den Fragen zuhören, bevor sie antwortet. Und wenn man dem Experten glauben darf, hatte das Gespräch für die Trauergemeinschaften auch einige Überraschungen. Denn die Gäste waren offenbar „schockiert“; jedoch nicht von der Technologie an sich, sondern von den offenen Antworten der Frau.

„Die Verwandten waren von der neuen Ehrlichkeit meiner Mutter bei ihrer Beerdigung verblüfft. Zuvor war es ihr zu peinlich gewesen, ihre wahre Kindheit preiszugeben“, erzählt Stephen. „Auf eine entsprechende Frage bei der Beerdigung erzählte sie plötzlich von ihrer Kindheit in Indien, von der wir nichts wussten.“ Und auch das ein oder andere Geheimnis wurde preisgegeben. Denn: „Ihre digitale Version schockierte die Trauernden – sie erzählte uns, dass sie eigentlich Siebenten-Tags-Adventistin war. Plötzlich ergab ihr Leben für mich einen klaren, neuen Sinn.“