Mit dem Sommer kommt auch immer die Frage nach den passenden Frisuren. Doch während Flechtfrisuren und Tücher heuer im Trend liegen, vergessen viele, dass manche Frisuren eine viel weiter reichende Geschichte haben, als man auf Instagram und Co entdeckt.

Denn hinter einigen Frisuren steckt auch die Diskussion zwischen Cultural Appropriation und Cultural Appreciation.

Was ist eigentlich Cultural Appropriation bei Frisuren?

Wer in den vergangenen Wochen und Monaten in Modemagazinen, auf Blogs und in Social Media nach Sommertrends gesucht hat, ist an zwei Dingen kaum vorbei­gekommen: Flechtfrisuren und Tüchern. Beide erleben im Sinne der Y2K-Nostalgie ein Revival – und werden von Stars wie Dua Lipa, Gigi Hadid und Co gefeiert.

Doch gerade bei diesen Haartrends gibt es einen Aspekt, der nur allzu oft ignoriert wird: Cultural Appropriation. Darunter versteht man die Problematik, wenn die (weiße) Mehrheitsgesellschaft sich Trends, Looks und die Kultur von Minderheiten aneignet. Bei Flechtfrisuren passiert das etwa, wenn statt kleiner Highlight-Zöpfchen Locs, Braids oder Cornrows getragen werden; Frisuren, die ihre Ursprünge in der Black Community haben.

Eines der wohl bekanntesten Beispiele dieser kulturellen Aneignung ist Kim Kardashian. Immer wieder zeigt sie sich mit Braids oder Cornrows. Doch statt der Black Community für ebendiese Styles die verdiente Anerkennung zu geben, eignete sich Kim die Zöpfe lieber selbst an; und gab den Credit der weißen Schauspielerin Bo Derek – anstatt Schwarzen Frauen. Eine Entscheidung, die plakativ für den Unterschied zwischen Cultural Appropriation (also der An­­eignung einer Kultur) und Cultural Appreciation (der Anerkennung derselben) steht.

„Das Problematische ist per se nicht, dass weiße Menschen Black Hairstyles tragen, sondern die Tatsache, dass sie oftmals nicht wissen, was hinter einer Frisur steckt, die für sie nur modern und stylish ist, aber für Schwarze Frauen einfach viel mehr bedeutet“, erklärt auch Autorin und Influencerin Christl Clear

„Wenn sich die weiße Mehrheits­gesellschaft etwas aneignet, ohne es zu hin­terfragen, ohne den kulturellen Background zu kennen und ohne ihre privilegierte Perspektive zu bedenken, dann ist das schwierig.“

Politische Hauptsache: Warum wir mehr über Frisuren in Erfahrung bringen sollten

Hinter den besagten Frisuren stecken nicht nur jede Menge Geschichte und Kultur, sondern für Schwarze Frauen auch einfach mehr als ein aktueller Trend. Denn zum einen sind es „Protective Hairstyles“, also Frisuren, die ihre Haarstruktur schützen. Zum anderen geht das Thema Haare aber weit über Beauty und Fashion hinaus und betrifft auch gesellschaftspolitische Aspekte.

„Hinzu kommt dann auch, dass man als Schwarze Frau mit Braids, Cornrows, Twists, aber allen voran mit Locs oder einem Afro schnell nicht denselben Status genießt wie eine weiße Frau mit derselben Frisur“, schildert Christl Clear. „Man ist als Person, die diese Frisuren trägt, viel öfter Mikroaggressionen und Rassismus ausgesetzt, als wenn man ‚kaukasisches‘ Haar trägt. Und wenn man das nicht anerkennt, ist das eine Form von ‚White Privilege‘; dessen muss man sich bewusst sein, wenn man diese Frisuren trägt.“

„Für Schwarze Frauen sind es nie ‚einfach nur Haare‘“

Die Art und Weise, wie sie ihre Haare tragen, hat für Schwarze Frauen alltäglich Konsequenzen. Christl Clear: „Ich weiß sehr wohl, dass sich viele weiße Menschen denken: ‚Es sind ja nur Haare, seid nicht so dramatisch!‘ Aber für Schwarze Frauen sind es nie ‚einfach nur Haare‘, weil diese oftmals dafür entscheidend sind, wie uns die Gesellschaft behandelt, ob wir den Job bekommen, ob wir ernst genommen werden et cetera.“

In den USA setzt sich der Crown Act („Create a Respectful and Open Workplace for Natural Hair“) dafür ein, dass Schwarze Menschen am Arbeitsplatz nicht länger aufgrund ihrer Frisuren diskriminiert werden dürfen. Ein Gesetz, das bisher erst in 15 Bundesstaaten gilt. Das Problem ist also klar. Solange es auf der einen Seite Diskriminierung und Anfeindungen gibt, ist es enorm proble­matisch, dass weiße Frauen diese Looks tragen und sie als ihre eigenen Trends verkaufen.

„Ich kann nur für mich sprechen und ich denke grundsätzlich nicht, dass man weißen Menschen irgendwelche Looks verbieten sollte. Ich würde mir nur wünschen, dass Menschen nicht mit Locs herumlaufen, ohne zu wissen, welchen historischen Hintergrund und welchen spiri­tuellen Background sie für Schwarze Menschen haben“, so Christl.

Zwischen Zelebrieren und Diskriminieren

Ein Wunsch, den auch Journalistin Nour Khelifi teilt; und zwar in Bezug auf das Kopftuch. Genau wie Zöpfe steht auch dieses heuer im Fokus der Modetrends. Doch während auf den Laufstegen Tücher zelebriert werden, erleben Frauen, die das Kopftuch aus reli­giösen Gründen tragen, regelmäßig rassistisch motivierte Anfeindungen.

Wie unterschiedlich die Reaktionen auf das Kopftuch je nach Trägerin sind, zeigte etwa Julia Fox. Während die französische Vogue ihren Look auf Instagram lobte, sorgen Kopftuchverbote in Frankreich regelmäßig für aktive Diskriminierung.

Der Umgang mit Julias Kopftuch sorgte online für einen Shitstorm und zeigt plakativ das Problem. „Während muslimische Frauen, die ein Kopftuch tragen, alltäglich Diskriminierung oder Rassismus erfahren und als ungebildet, rückständig, mittelalterlich und antifeministisch bezeichnet werden, wird das Kopftuch bei nicht muslimischen Frauen oder generell Frauen ohne Migrationshintergrund als kultiviertes, elegantes Fashion-Statement gesehen“, erzählt Nour.

Zwar betont sie, dass auch in anderen Kulturen Tücher getragen wurden, die unter­schiedliche Behandlung der Trägerinnen sei allerdings problematisch. „Man würde nie auf den Gedanken kommen, jemanden rassistisch oder diskriminierend zu beleidigen, weil er oder sie aus Fashion­gründen eine Balaklava, ein Kopftuch oder einen Turban trägt“, erzählt sie.

Für sie geht es deshalb nicht darum, wer was tragen darf und wer nicht; e geht um den Blick auf das Kopftuch. „Hätten wir nicht diese islamophoben und frauenverachtenden Diskurse, könnte jede tragen, was sie will“, betont Nour. Bis es aber so weit ist, hofft sie auf mehr Solidarität in der Bevölkerung und ein „gewisses Bewusstsein für die politische Lage“.